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Ägypten

21.12.2009 Nuweiba- Abu Zenima

Die Fahrt dauert statt angegebenen 3-4 Stunden ganze 6 Stunden. Im Morgengrauen kommen wir in Ägypten, auf dem Sinai an. Sollten wir es jetzt noch schaffen, den Sinai zu durchqueren, haben wir unser Ziel ansatzweise bereits geschafft- dann sind wir in Afrika...... Doch vorerst die- in fast allen zu lesenden Reiseberichten im Internet- bereits angekündigten, anstrengenden Zollformalitäten der Ägypter. Ganze 3 Stunden mit Frühstückspause: Ein bestimmender Polizist fängt uns ab, erklärt uns den Ablauf. Bekommen tatsächlich für 30 Dollar unsere Reisepässe mit Visum zurück. Dann wird die Rahmen- und Motorenblocknummer vom Auto verlangt. Eine Plakette reicht den Beamten nicht, auch wenn Jonathan sogar schriftlich zeigen kann- es gibt keine eingestanzte Nummer, es gibt nur die Plakette. Ohne Rücksicht auf Verluste wird mit einem scharfen Messer der Unterboden der Fahrzeugkarosserie abgekratzt, bis sie enttäuscht feststellen müssen- es gibt wirklich keine eingestanzte Nummer. Gegen unglaubliche Gebühren bekommen wir ein ägyptisches Nummernschild und eine Fahrlizenz ausgestellt, mit einem müden Lächeln zahlen wir fast 4 Euro für 4 Kopien. 3 Stunden, dann sind wir frei.
Finden schnell einen schönen Platz am Golf of Aquaba, springen ins kühle Nass. Ägypten. Ein warmes Gefühl im Bauch, es bis hier geschafft zu haben...

Trotz der wenigen Stunden Schlaf machen wir uns bald auf den Weg, wollen versuchen heute den Sinai zu durchqueren. Fast 100 Kilometer durch Wüstenlandschaft. Wir steigen aus, genießen die Stille, die Wärme. Kahle Steinfelsen, feiner Sand, blauer Himmel. Wir durchqueren nur wenige Dörfer, eine Oase, die mit Palmen gesäumt ist, in die Natur farblich angepasste Häuser, trockene Felder. Wie werden diese Menschen hier versorgt? Wir sehen keine Tiere, keine Gemüsefelder. Kilometer um Kilometer, Die nächste Stadt ist viel zu weit für eine Infrastruktur. Strom scheint vorhanden zu sein, eine gute Straße, ein ausgetrocknetes Flussbett. Kinder, die mit Fahrrädern spielen. Wir sehen keine Schule, auch nicht im nächsten Dorf. Dafür immer wieder Polizeisperren, schwer bewaffnet, 5-10 Soldaten pro Kontrollstation. Sharm el Sheik ist der Hauptsitz des Präsidenten, der Tourismus soll geschützt werden und natürlich lässt sich auch hier mit der unmittelbaren Nähe zu Israel das Militäraufgebot rechtfertigen. Wir erreichen nach eindrucksvoller Natur die Westküste vom Sinai, sehen die Schlacht ums Öl, das gesamte Küstengebiet ist militärisch abgeriegelt. Einen Schlafplatz zu finden ist nicht einfach, einzige Chance sind die durch den Erdölabbau entstandenen Dörfer. Wir finden einen Strandabschnitt der öffentlich zugänglich ist, kochen und genießen den Sonnenuntergang. Sind schon um 19 Uhr so müde, das wir ins Bett gehen.. Beide haben wir schon fest geschlafen, als es aggressiv an der Tür klopft. Automatisch klopfe ich zurück. Ein furchterregendes Geschrei, ich linse in die Dunkelheit durch das kleine Fenster. Sehe zwei dunkle Gestalten, die ihre Maschinengewehre auf uns richten, in einer Sprache die ich nicht verstehe in die Nacht schreien. Wir machen das Licht an, öffnen nur einen kleinen Spalt vom Fenster. Versuchen in der Panik von beiden Seiten ruhig zu bleiben, zu verstehen zu geben, dass wir keine Terroristen sind, sondern lediglich zwei müde Reisende... Die Männer sind vom Militär. Geben uns zu verstehen, dass wir hier auf keinen Fall stehen bleiben können, zu gefährlich sei die Bauruinengegend. Wir sollen zu einem Hotel fahren. Wir packen schnell unsere Sachen, fahren ins Dorf, doch kein Hotel weit und breit. Entnervt halten wir an einer Feuerwehrwache, bitten um einen Übernachtungsmöglichkeit. Nach einer Stunde des Wartens und vielen Telefonaten bekommen wir eine Zusage und einen zuckersüßen Tee. Erschöpft kuscheln wir uns wieder ins Bett.
Keine fünft Minuten später klopft es erneut- die Polizei- Personalienkontrolle...

22.12.2009 Abu Zenima- El Gouna

Früh verlassen wir diesen Ort, fahren die Westküste des Sinai entlang. Finden nicht einen schönen Ort, der zum Frühstücken verlockt, nur Ölfelder und Industrieanlagen. Erreichen den Ahmad Hamdi Tunnel, der uns für 30 Cent nach Afrika bringt. Erleben die erste ägyptische Großstadt- Suez- chaotisch, dreckig, staubig. Die Polizeisperren werden weniger, wir fahren die Ostküste entlang gen Süden und haben ein ähnliches Bild wie auf der anderen Seite vom Golf of Suez- unglaublich langweilige Natur (Wüste eben...:-), gute Straßen, Ölfelder und abgeschottete Hotelanlagen. Viele der im Bau befindlichen Komplexe durch die Wirtschaftskrise im Stillstand. Jonathans Mutter Sabine und Robert sind heute Nachmittag aus dem winterlichen Deutschland im 32 Grad warmen Hurghada angekommen. Wir haben gehofft, ein gemeinsames Weihnachtsfest in Ägypten verbringen zu können. Heute werden sie auf keinen Fall mit uns rechnen, wo wir doch vor drei Tagen noch in Jordanien waren... Wir beschließen, nicht noch einmal den Versuch zu begehen und in einem Militärgebiet unser Lager aufzuschlagen. Fahren unsere bislang längste Strecke- knappe 500 Kilometer und kommen gegen 20 Uhr in El Gouna, Steigenberger Golfresort an. Die vielen Securityleute scheinen sehr verwundert über unsere Angabe- wir wollen ins Steigenberger, lassen uns aber passieren.

Dreckig, verschwitzt, hungrig aber glücklich stehen wir in einem großen Saal mit gut gekleideten Menschen. Als die beiden uns erblicken, fallen sie fast vom Glauben ab. Wir werden an einen Tisch gesetzt, der Kellner fragt uns, ob wir etwas essen möchten. Er druckst etwas herum, gibt uns dann aber zu verstehen- hier herrscht eine Kleiderordnung, kurze Hose und Sandalen sind nicht angebracht... Ein Kulturschock vom Feinsten.

23-28.12.2009 El Gouna

El Gouna sperrt jegliche Realität aus, hier treiben sich nur die rum, die es sich leisten können. Wir dürfen nicht im Auto übernachten, in dem gesamten Hotelkomplex ist dies verboten, eine kleine Stadt mit 15.000 Arbeitern, mit Golfplatz und Palmen in einer einstigen Wüstenlandschaft. Mit eigenem Bewässerungssystem, Müllrecyclingsanlage, Stromerzeugung mittels Generatoren. 50.000 Liter Diesel werden hier täglich verbraten um Strom zu erzeugen- die anderen Hälfte des tatsächlichen Bedarfs kommt aus staatlichen Stromerzeugnissen. Eine kleine Stadt, die in den Händen einer Familie liegt, ohne Arbeitnehmerrechte, dafür aber mit guter Schule für die Kinder, einer Krankenbetreuung im eigenen Krankenhaus, Wohnmöglichkeit im Komplex. 15.000 Menschen, die sich den Ideen einer reichen Familie “unterwirft”. Zwei Tage schaffen wir es, mal wirklich nichts zu tun außer uns die Bäuche voll zu schlagen und im Pool zu schwimmen. Dann ist wieder das Auto dran, die Internetseite, Projektkontakte aufbauen, Zeitungsartikel schreiben, Stiftungen um finanzielle Unterstützung anfragen. Wir entdecken 5 Umweltzertifikate, die das Steigenberger als “Umweltchampion für nachhaltigen Tourismus” auszeichnen. Nicht nur wegen des unglaublichen Handtuchverbrauchs den wir beobachten können und der immensen Gartenbewässerung kommt uns dies unglaubwürdig vor. Wir hinterfragen, können eine Managerin mit der Kamera durch El Gouna begleiten.

Wir verbringen schöne Tage mit Sabine und Robert, die den Weg auf sich genommen haben, um ein Stück an unserer Reise teilnehmen zu können. Die die ganzen noch unsortierten Geschichten, die aus uns raus purzeln, aufsaugen. Danke euch beiden für euer Kommen und die schönen Tage die wir mit euch verbringen durften. Die unserer Batterien wieder aufgeladen haben, uns Kraft für die nächsten 7000 Kilometer gegeben haben!!!

28.12.2009 El Gouna- Luxor

Wir machen uns zusammen mit Sabine und Robert auf den Weg nach Luxor. Hier befinden sich 62 Gräber der Könige, eine touristische Attraktion. Mitten in der Wüstenlandschaft, ca. 100 Kilometer vor Luxor eine aufregende Panne: der Reifen der Hinterachse ist platt. Wäre nicht so wild, würden wir uns nicht in einem Checkpoint befinden, in dem wir nicht anhalten können. Jonathan fährt noch weitere 500 Meter. Die Felge frisst sich in das Gummi. Der ist hin... Mit Sandblechen bauen wir eine tolle Konstruktion um die Lady hoch genug aufbocken zu können. Am Nachmittag kommen wir in Luxor an. Schon 20 Kilometer vorher sieht man eine schlagartige Veränderung der Landschaft- es wird wieder grün, der Nil durchzieht die Gebiete mit angelegten Bewässerungssystemen. Nur 5 % der ägyptischen Landesfläche sind fruchtbar- man mag sich vorstellen welche Landesabschnitte besiedelt sind. In Luxor finden wir das Reizykycamp. Fahren durch das Tor des Campingplatzes und trauen unseren Augen nicht: 4 große deutsche Trucks, ein Engländer und eine wunderschöne, 50 Jahre alte Feuerwehr. Wir lernen Julia, Ronja, Johanna und Marcel kennen. Die Familie ist mit der wunderschön ausgebauten Feuerwehr auf dem Weg nach Südafrika. Sie sind über Italien/ Tunesien/ Libyen gekommen und mussten kurz vor der libyschen Grenze einen neuen Motor einfliegen lassen. Und trotzdem strahlen sie uns an und meinen, bislang verdammt viel Glück auf ihrer Reise zu haben... Die Reise der Familie könnt ihr auf der Internetseite www.four4africa.com verfolgen. Wir haben die Gleiche Route bis Kenia und werden uns mit Sicherheit irgendwo im nirgendwo wieder treffen. Die Geschichten und Erlebnisse werden ausgiebig ausgetauscht, es tut gut mit Menschen zu sprechen, die unsere derzeitigen Probleme, Bedürfnisse und Ängste kennen und verstehen.

Mit Sabine uns Robert spazieren wir durch die im Abendlicht kitschig beleuchtete Stadt, am Nil entlang zum Luxortempel. Wirklich jeder spricht uns an- ob wir Zigaretten kaufen wollen, ein Taxi oder eine Pferdekutsche benötigen, eine Bootstour machen möchten. Auch Haschisch ist hier ein recht offen gehandeltes Gut. Unmengen an Touristen, die aus Bussen gespuckt werden um zurück auf ihr Kreuzfahrtschiff zu gelangen. Auf diesem sehen wir die Damen an Deck in knappen Bikinis am Pool, die Ägypter stehen auf den Gehwegen und starren zu den Schiffen. Wir sind schnell so genervt, dass wir den Rückweg antreten.

29.12.2009 Luxor und das Tal der Könige

Am Morgen lassen wir uns von einem Führer ins Tal der Könige bringen. Dieses zählt in der Hochsaison über 7000 Besucher täglich- wir befinden uns in der Hochsaison... Wir schauen uns 6 von den 62 Gräbern an, die nach einem Besuch in Palmyra/Syrien oder in der Petra/Jordanien nicht mehr spektakulär sind. Wir wollen Geld abheben- geht nicht. Ein Anruf bei der Barclaysbank erklärt, warum nicht. Es gab die letzten Wochen Abbuchungen von verschiedensten Länderen, das hat die Bank stutzig gemacht und ohne vorheriger Kontaktaufnahme wurde das Konto gesperrt. Jonathan schraubt am Auto, ich suche einen Fairtrade- Center, der Kunsthandwerk aus verschiedenen NGO Projekten verkaufen soll. Gehe durch die Straßen und mit voller Wucht merke ich einen großen Unterschied, ob ich alleine bin oder wir als Paar auftreten. Luxor ist ein Ort der Sextouristen, ich bekomme einige Angebote. Will eine Seitenstraße vom Karnaktempel zurück zum Campingplatz gehen. Die hier überall präsente Touristenpolizei pfeift mich zurück, hier kann ich nicht lang gehen. Warum nicht? Nicht sicher genug ist die Antwort. Das Verlassen der Touristenmeile ist hier absolut nicht gewünscht. Ich gehe eine andere Seitenstraße und mir eröffnet sich ein ganz anderes Bild von der so ordentlichen, gut beleuchteten und strukturierten Stadt.

30.12.2009 Luxor

Heute werden wir verlassen. Erst verabschiedet sich die Feuerwehrbesetzung von uns, danach Robert und Sabine. Die beiden werden noch ein paar schöne Tage in El Gouna verbringen.

31.12.2009 Luxor- Westbank

Am Vormittag überqueren wir mit dem Schiff den Nil um auf die Westseite zu gelangen. Hier treffen wir auf Ingrid, die uns zu der Kinderpraxis der “Kleinen Pyramide e.V.” bringt. Wir bekommen einen ersten Eindruck über das Projekt und einen tiefen Eindruck von Luxor und Ägypten. Ingrid ist die “Bürokraft” für das Behindertentherapiezentrum und lebt nach einem Bandscheibenvorfall im Winter in Ägypten, im Sommer in Deutschland. Wir verabreden uns für Samstag zum filmen. Die Westbank ist um einiges angenehmer als die andere Seite, kleine Gassen mit kleinen Hotels, direkt in einer dörflichen Struktur und nicht in einer künstlich geschaffenen Meile. Zurück in der Downtown schlendern wir über den Souq mit vielen kleinen netten Läden, auch über die Straße um die Absperrunge zu durchqueren und in den richtige Markt zu gelangen. Der bietet ein ganz anderes Bild- keine Asphaltstraße sondern staubiger Sand, Plastikmüll und vergammeltes Obst an den Verkaufsständen. Tourismus und Normalität scheinen hier strikt getrennt zu werden. Am Abend lernen wir auf dem Campingplatz zwei Holländer kennen, die in 6 Wochen mit einem fünft Jahre alten Rettungswagen nach Uganda fahren. Der RTW soll dort für ein Waisenhaus verbleiben. Sie hatten unglaublich viel Stress in den Polizeisperren, evtl. auf Grund des medizinischen Hilfstransports aus Europa in den Gazastreifen, der noch immer in Jordanien/ Aquaba festgehalten wird.

01.01.2010

"Happ new year” wird uns aus vielen Richtungen zugerufen. Wir verbringen einen entspannten Tag auf dem Campingplatz mit kochen, schrauben, lesen. Dinge, die zu erledigen sind, müssen auf morgen verschoben werden, heute ist muslimischer Feiertag.

02.01.2010 Luxor

Auf dem Markt lassen wir den Bergegurt und Jonathans Schuhsohle reparieren, setzten dann per Schiff wieder auf die Westseite über. Können ein schönes Interview mit Achmed führen. Er ist Vorsitzender vom Verein “Little Pyramides”, der in Kairo registriert ist. Er hat lange in der Touristenbranche gearbeitet, hat eine gute Karriere hinter sich. Wurde dann vom Vorsitzenden des deutschen Vereins “Kleine Pyramide e.V.” “abgeworben” und hat seinen Job im Mövenpickhotel gekündigt. Er sagt etwas sehr schönes, was die Entwicklungshilfe in unseren Augen wirklich rechtfertigt. Durch die Deutschen habe ich erst das Problem der Armut in Ägypten gesehen. Mir wurden die Augen geöffnet und mir wurde gezeigt, dass wir selbst als Ägypter für unsere Mitmenschen eine große Hilfe sein können und auch sein müssen.” Er hatte bereits drei Mal durch den Verein die Chance nach Deutschland zu kommen, was ihn selbst in seiner Denkweise sehr geöffnet hat. Er läd uns zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Wir können zwei Familien, die durch die vom Verein initiierten Patenschaften unterstützt werden zu Hause besuchen, mit den Menschen über die Art der Unterstützung sprechen.

Der Ausflug zu Achmed lohnt sich gleich zweierlei- wir kommen zum ersten Mal in unserem Leben in den Genuss von Taubenfleisch (...) und sind unglaublich beeindruckt von Achmeds Lebenswandel. Raus aus dem Luxusleben um sein Volk zu unterstützen, um behinderten Kindern eine Zukunft zu schenken, um Frauen lesen, schreiben und nähen beizubringen, um Mädchen eine Schulbildung zukommen zu lassen.

03.01.2010 Luxor am Sonntag

Eigentlich bleibt nur noch ein kurzes Interview mit Ingrid, um das Projekt abzuschließen, doch die hat heute frei. So haben wir noch mal einen Tag “verloren”, den wir aber auch ganz dankbar annehmen... Um unsere Lebensmittelvorräte mal wieder aufzustocken gehen wir zum Markt. Das soll für heute reichen...
1 kg Tomaten werden uns für 10 Pfund angeboten, nach ausdauernden 10 Minuten bekommen wir die Plastiktüte doch für 2 Pfund (20 Cent) in die Hand gedrückt. Am Vormittag gibt es doch noch eine bessere Gemüsequalität im Angebot. Frischer Fisch auf staubiger Straße, Fleisch am Hacken von Fliegen belagert, Tauben und Hühner bei lebendigem Leibe in kleinen Käfigen in der prallen Mittagssonne. Kleider, Plastiksandalen, Tücher, aber noch keine Secondhandware.
Viele Kinder die mit den potenziellen Käufern die Preise aushandeln. Viele der Schulen sind seit langer Zeit geschlossen. Schweinegrippeangst, in Ägypten gab es bereits um die 50 Todesfälle...aber Schweinegrippe gibt es ja nur in der Schule, nicht auf dem Markt.... Spannend, ob die Schulpflicht nach der Schweinegrippewelle wieder war genommen wird, oder ob die Kinder weiter als Geldquelle für die Familie dienen müssen. Eselskarren die durch die staubige Straße fahren um ihr Gut unters Volk zu bringen.
Zwischendurch die Pferdekutschen mit Touristen, die erstaunt durch den Trubel jongliert werden und mit verzogenem Gesicht ihre Kamera auf den Schlachter direkt neben dem stinkenden Müllberg richten. Plötzliche Unruhe. Die Händler schnappen sich ihre Ware, suchen ein Versteck in der Nebengasse. Die Polizei zieht hier jeden Tag ihre Runden, kassiert alles ein, was keinen festen Laden hat. Ganze Eselskarren, Waagen, Tomatenkörbe landen auf dem Truckanhänger. Anstatt sich gegenseitig zu stärken werden die, denen die rechtzeitige Flucht in die Seitengasse nicht gelungen ist, von den anderen ausgelacht. Keiner gönnt dem anderen etwas und warum sollte ich mich für meinen Nachbarn und Konkurrenten einsetzten.... Die mit den Hühnern und Tauben sind am schnellsten gerannt, lebendige Hühner zu verkaufen ist seit der Vogelgrippe streng verboten. Aber wahrscheinlich würde auch der Präsident ein lebendiges Huhn vorziehen als eines, welches seit 4 Stunden tot mit dem Kopf im Staub hängt....

04.01.2010 Luxor- Nag Hammadi Barrage

Früh am Morgen fahren wir zur kleinen Pyramide, um noch einmal mit Ingrid zu sprechen. Danach packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg gen Norden. Ingrid nennt den Schlüssel für gute Entwicklungshilfe: Bildung, Bildung, Bildung.

Haben uns für die Nilstrecke entschieden. Müssen uns jedoch bald einen Schlafplatz organisieren, da es dunkel wird. Doch der soll nicht einfach zu finden sein. Die gesamten 600 Kilometer der Strecke bis Kairo sind so dicht besiedelt, mit Gemüse bewirtschaftet oder mit unglaublich schlechten Straßen bebaut, dass wir mit großem Glück in der Dunkelheit einen Parkplatz an der Straße finden, der Rastplatzcharakter für LKW- Fahrer besitzt. Eine laute, mückenreiche Nacht mit wenig Schlaf...

05.01.2010 Nag Hammadi Barrage- Beni Hassan

Wir kommen im Durchschnittstempo von 20 Km/h vorwärts. Viele Polizeisperren, Verkehrsberuhigungen in Form von Gittern, “schlafenden Polizisten”, tiefen Schlaglöchern und Eselskarren rauben uns den letzten Nerv. Dennoch sind wir froh, diese Strecke gewählt zu haben, denn hier leben die Menschen, das ist Ägypten! Wir kaufen Bananen und Orangen, anderes Obst hat zu dieser Jahreszeit auch das fruchtbare Land am Nil nicht zu bieten. Plötzlich verlassen uns unsere Koordinaten. Auf unseren Karten ist die gesamte Strecke an der Nil- Ostseite eine Straße eingezeichnet. Doch die Dorfbewohner versichern uns ganz fest- hier geht keine Straße lang. Wir fahren im Kreis. Die Kreuzungen gibt es bei uns nicht, doch die Straßen die es bei uns gibt, gibt es hier nicht... Von der Polizei lassen wir uns in der einsetzenden Dunkelheit 20 Kilometer zurück bringen, um auf den Desert Highway zu kommen. Eine große, gut ausgebaute und teilweise beleuchtete Straße, die weder auf der Papierkarte noch auf der digitalen Karte zu finden ist. Unser GPS- Stehaufmännchen fährt durch die Wüste...

Erstaunlich, wie hier die Straßenpriorität gesetzt wird. Die Straße am roten Meer entlang Richtung Hurghada war zeitweise Vierspurig ausgebaut, wenig Betrieb auf der Strecke. Am Nil hingegen teilweise nur Sandpiste.

Für eine Schlafmöglichkeit müssen wir auch diese Strecke noch bewältigen- 50 Kilometer in der Dunkelheit. Wir erreichen das Dorf bei “Beni Hassan” gegen 21.00 Uhr, hier wollen wir uns morgen die Gräber anschauen. Doch sofort ist ein Wachmann da, wir dürfen hier nicht bleiben... Im 2 Kilometer entfernten Dorf stellen wir uns in eine Ecke, kochen Nudeln. Es klopft an der Tür. 20 Männer stehen um unser Auto rum, fragen etwas auf arabisch. Wir versuchen mit Händen und Füßen zu erklären. Ein Lächeln, sie entschuldigen sich. 10 Minuten später klopft es wieder. Dieses Mal nur 2 Männer, sie reichen uns kalte Cola mit einem verbundenem “sorry”. Was die wohl gedacht haben, wer wir sind, dass sie sich in dieser Form bei uns entschuldigen...

06.01.2010 Beni Hassan- Kairo

Die Gräber sind um einiges beindruckender als in Luxor. Die Wandmalereien sind nicht nachgezeichnet, keine Touristenmassen, ein wunderschöner Blick zum Nil. Die Gräber liegen authentischer in der Berglandschaft, die Eingänge nicht groß aufgemacht sondern mit einem einfachen Stahltor verschlossen. Wir haben die Zeit, uns die Hieroglyphen genau anzuschauen und werden nicht vom Wächter weitergetrieben.

Auf den nächsten 220 Kilometern gleiches Spiel wie gestern. Auch hier haben wir Kartenprobleme, müssen die Nilseite wechseln, obwohl dies gar nicht vorgesehen war. Wollten eigentlich in Beni Suef ein Kleinkreditprojekt der Afrikafreunde e.V. besuchen, doch leider feiern die Christen derzeit Weihnachten und wir werden auf Sonntag vertröstet.

In der Dunkelheit erreichen wir die unglaublich vermüllten Vororte Kairos. Wir haben nur ein paar Mandarinen und Bananen im Bauch, sind erschöpft. Haben die Koordinaten eines Campingplatzes, sind laut Karte dort, wo wir sein sollen. Versuchen uns durchzufragen, niemand kann uns helfen. Fahren in eine dunkle Seitengasse, da wir Richtung Westen müssen und dies die einzige Möglichkeit ist. Vor einem Müllhaufen müssen wir in der Gasse umdrehen. Nochmals der Versuch zu fragen. Ein junger Mann steigt zu uns ins Auto, will uns den Weg zeigen. Kinder schmeißen mit Steinen auf unser Auto. Er lenkt uns durch enge Gassen mit Wohnhäusern und unglaublich vielen Menschen. Wir fahren eine weite Strecke, die überhaupt nicht zu unserer Karte zu passen scheint. Doch wir können ihm nur vertrauen... Er steigt aus, meint, wir sind jetzt in dem genannten Ort. Vor uns ein stinkender Kanal, in dem die Menschen zwischen dem ganzen Müll noch Fische raus ziehen. Uns vergeht alles... Wir fahren hin und her, sind wirklich am richtige Ort, doch kein Campingplatz weit und breit. Geben uns irgendwann mit einem Parkplatz am Müllkanal zufrieden, direkt an der Straße. Kochen Nudeln, füllen die hungrigen Bäuche um wieder Kraft zu sammeln. Machen uns zu Fuß noch mal auf den Weg. Mohammed bietet uns neben dem etwas ruhigeren Hotelparkplatz auch sein Haus an. Wir versichern ihm, dass wir wirklich gerne im Auto schlafen und sogar eine “Küche” besitzen. Aber diese Begegnungen sind zwischen den ganzen anderen mit den arroganten Polizisten wirklich wohltuend. Wir entdecken eine kleine Seitengasse und werden doch noch fündig- der Salma Campingplatz... Um Mitternacht bekommen wir zum krönenden Tagesabschluss sogar noch ein kaltes Bier.

07.01.2010 Kairo deutsche Botschaft

Neben uns sind hier noch drei Motorradfahrer aus England gestrandet und vier Deutsche auf dem Weg nach Südafrika. Am Abend lernen wir Chris kennen, der vor 13 Jahren Deutschland verlassen hat und nun auf dem Heimweg ist.

Wir machen uns um 10.17 Uhr mit dem Taxi auf den Weg zur deutschen Botschaft, die, wie wir soeben erfahren haben, um 11 Uhr schließt. 25 Minuten Fahrzeit sollte reichen, um noch reinzukommen. Der Taxifahrer fährt dreimal um den Block bis wir die richtige Botschaft gefunden haben und um 10.58 Uhr klopfen wir an die Scheibe um einen “Letter of Invitation” für den Sudan zu bekommen. Die Frau am Schalter atmet tief durch, wirft einen kritischen Blick auf ihre Armbanduhr. Wir können die Pässe abgeben, bekommen unseren Letter aber erst Sonntag...

Finden ein unglaubliches gutes Cafe mit Internet, doch leider recht ernüchternd- entweder feiern alle Weihnachten oder es ist bald Freitag....also können wir uns um Reifen und Computersachen erst Sonntag kümmern... Per Taxi lassen wir uns quer durch die Stadt zu einem großen Einkaufscenter bringen, die Kameraequipment haben sollen. Wir brauchen noch neue Tapes und eine angefragte Möglichkeit auf Produktunterstützung bei BPM wurde leider abgelehnt.

08.01.2010 Kairo Campingplatz

Auch für Traveler ist es unglaublich wichtig, für ein paar Stunden nur die gleichen vier Wände um sich zu haben, das Chaos auf den Straßen, die Marktstände, die Eselskarren aus dem Kopf zu verbannen und sich “wie zu Hause” zu fühlen. Dafür sind Campingplätze unglaublich gute Oasen. Wir können mit anderen Erfahrungen austauschen, die das tägliche Leben oder auch die kleinen Probleme am Auto betreffen. Hier bekommt man alle wichtigen Tipps für die Weiterreise, gute Schlafplatzadressen und Grenzerfahrungen. Chris liegt den ganzen Tag mit Jonathan unter der Lady, ist total begeistert vom Volvo. Sie stellen die Zündung ein, damit wir auch ohne Probleme mit 90 Oktan fahren können.

Von ihm erfahren wir unglaubliche Geschichten- 13 Jahre durch die Welt- und er hat wirklich kaum ein Land ausgelassen!

Wir sprechen mit ihm über das Thema Entwicklungshilfe, fragen ihn nach seiner Meinung. Er hat besonders in Südafrika viele Projekte besucht, um sich ein Bild zu machen. Sagt ganz klar- alle Länder haben genug eigene Geldmittel im Land, nur müssen diese gerechter aufgeteilt werden. Nahrung, Land, Rohstoffe, es ist doch alles vorhanden. Und die Länder, die am meisten davon besitzen, weisen die größte Armut auf. NGOs machen es den “Reichen” im Land einfach, so müssen sie nicht so viel vom Kuchen abgeben...
Fragt uns- “Was würde in München passieren, wenn die Dorfältesten der Massai kommen und den Deutschen die guten Gründe für eine Frauenbeschneidung aufzeigen würden? Wie lange würde es dauern, bis alle Frauen in München beschnitten sind? Jahrzehnte. Und wie können wir davon ausgehen, dass wenn wir eine Vereinsdelegation in die Massaidörfer schicken, die den Menschen dort die negativen Seiten der Frauenbeschneidung aufzeigt, innerhalb von 5 Jahren keine Frau mehr beschnitten wird??? Erzählt aus Pakistan- was würde passieren, wenn die Frauen von heute auf morgen ihre Verschleierung ablegen würden? Es würde eine Massenvergewaltigung geben. Die männliche Gesellschaft hat noch überhaupt nicht gelernt, damit umzugehen, kennen bis zu ihrer Hochzeit höchstens ihre Mutter und die Schwestern unverschleiert. Das braucht viel länger und muss sensibel vorbereitet werden. Erzählt aus Ruanda- wenn du deine Bananen auf dem Markt kaufst, kannst du davon ausgehen, dass du dein Geld in die Hände eines Massenmörders gibst. Wenn du im Taxi sitzt, kannst du davon ausgehen, dass du von einem Vergewaltiger oder Kinderschänder durch die Stadt gefahren wirst. Was will die Entwicklungshilfe erreichen? Afrika explodiert, es hat schon lange aufgehört zu brodeln. Es ist zu spät. Die Länder können sich nur noch selber helfen, sofern sie überhaupt eine Veränderung wollen... Er hat Asien sowie Afrika intensiv bereist. Fragt uns- “Warum funktioniert es in Asien, wenn du einen Brunnen baust und dann gehst, dass dieser Brunnen auch noch in 10 Jahren Wasser fördert, da die Menschen wissen, wenn dieser trocken liegt müssen wir eine Schaufel nehmen und tiefer graben, und dies auch tun? Wogegen in Afrika immer der Entwicklungshelfer vor Ort bleiben muss, damit der Brunnen weitere Jahre Wasser fördert. Wenn dieser den Ort verlassen würde, steht ganz schnell der Dorfchef vor dem Brunnen und gibt das Wasser nur noch gegen Geld raus. Oder der Nachbarstamm kommt und wirft eine tote Kuh in den Brunnen, um das Wasser zu vergiften. Aus Neid, weil sie noch keinen Brunnen haben, im Hilfsprogramm erst in 2 Jahren an der Reihe sind... “ Erzählt, wie er in Südafrika für einige Monate eine Farm leiten sollte, der Besitzer in Europa Urlaub gemacht hat. Er alles falsch gemacht hat. Er die Arbeiter für gute Arbeit gelobt hat. Was ist danach passiert? Der Gelobte ist mit erhobenem Haupt durch die Felder gezogen und hat an die anderen Arbeiter nur noch Befehle verteilt, war jetzt “Freund vom Boss”. Er hat versucht, gute Arbeit mit ein kleinem Geldbonus zu belohnen. Was ist passiert? Der gut Bezahlte ist am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit gekommen, da er am Vortag genug für 2 warme Mahlzeiten verdient hat. Er sich irgendwann selbst gehasst hat, für den Ton, den er annehmen mußte, damit die Farm funktioniert. Er kein Freund mit den Menschen werden konnte, da dies völlig anders aufgenommen wurde. Seiner Meinung nach gibt es nur zwei Wege, um “Afrika zu entwickeln”.
Der erste wäre eine neue Kolonialisierung.
Der zweite wäre die Option, den afrikanischen Länder die Chance auf eine eigene Entwicklung zu geben, ihnen nicht vorzugeben, in welche Richtung sie sich zu entwickeln haben. Das bedeutet für alle- raus aus diesem Kontinent.
Schmunzelnd fügt er hinzu- beide seiner Sichten und Lösungsansätze werden wahrscheinlich nie eintreten, insofern gibt es in seinen Augen keine Hoffnung...

09.01.2010 Pyramiden und Müllsammler

Die 144 Meter hohe Pyramiden von Giseh zählen nicht unberechtigterweise zu den Weltwundern. Sie wurde 2560 v. Chr. als Grabmal für Pharao Chephren erbaut. Auch wenn man hier als Tourist unglaublich viel Geld loswerden kann, ist der Besuch beeindruckend.
Die Touristen sammeln sich um die Sphinx, wir verlassen schnell diese Ecke und umwandern die Pyramide Cheops. Viele Kamel und Pferdereiter versuchen ihr Glück, uns auf den Rücken der Tiere zu setzten- vergebens. Anschließend versuchen wir per Taxi das Gebiet der koptischen Christen am Moquahill anzusteuern. Handeln einen Preis aus. Der Taxifahrer kurvt lange mit uns durch die Stadt, spricht kein Englisch , so dass er unserer Wegbeschreibung aus dem Reiseführer nicht folgen kann. Irgendwann setzt er uns an der Moschee ab und wir gehen zu Fuß weiter.

Finden die “Müllstadt” und wandern zu Fuß durch die engen Gassen. Ich kann kaum atmen, so ein stechender Geruch von Abfall hängt in der Luft. Die koptischen Christen haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Müll aus der Stadt in ihr Viertel zu karren, hier zu sortieren und teilweise zu recyceln. Sie leben davon. Trotz das sie einen großen Teil dazu beitragen, dass Kairo in den meisten Gebieten recht sauber gehalten wird, sind sie in der Gesellschaft nicht gut angesehen. Die Christen halten normalerweise in ihren Gebieten Schweine, die den organischen Müll beseitigen. Der Staat hat die Schweinegrippe als Vorwand genommen, alle Schweine umbringen zu lassen. Man kann sich vorstellen, welch ein Problem jetzt die organischen Müllreste bieten. Es stinkt, Ratten vergnügen sich auf offener Straße, die Stadt wird von Fliegen bevölkert.

Wir gehen durch die Straße und werden unglaublich freundlich begrüßt, nicht einmal aufdringlich nach Geld gefragt. Wir finden ein kirchliches, unglaublich sauberes Gebäude, treten ein. Wir lernen Sister Saran kennen, die das Altenheim betreut.
Sie erzählt, dass die Kirche seit 30 Jahren tätig ist, Schulen. Kindergärten und Jugendeinrichtungen betreut. 90 Prozent der Kinder derweilen die Schule besucht werden und Mädchen nicht mehr in jungen Jahren verheiraten werden. Sie gibt uns eine Kontaktnummer um die Möglichkeit zu bekommen, ein Projekt porträtieren zu können.

10.01.2010 nochmal Botschaft

Long busy day...
Bekommen unseren Letter von der deutschen Botschaft und erfahren von den beiden Holländern, mit denen wir ein Taxi vom Campingplatz zum Botschaftsviertel teilen- die holländische Botschaft gibt diese Briefe für umsonst aus, wir mussten 40 Euro blechen...geben unser Visum in die Hände der nächsten Botschaft- Äthiopien. kann morgen abgeholt werden... Sudan werden wir wohl in Assuan erledigen. Anschließend ergattern wir einen neuen, hochwertigen “Cooperreifen” zum Preis von knappen 110 Euro. Danach noch ein Besuch beim Appleladen- die Tastatur spinnt noch immer, es ist uns immer mal eine halbe Stunde Arbeit gegönnt, danach werden Returns ohne Ende gesendet. Uns kann aber für viel Geld weitergeholfen werden- nicht das ganze Topcase muss ausgewechselt werden (Information die wir aus der Türkei hatten), sondern die Tastatur kann einzeln ausgebaut und erneut werden. An der alten kann man deutliche Spuren der Bierreste erkennen-klar dass da mal die ein oder andere Taste durchdreht... Wir finden sogar noch Unterbodenschutzfarbe und erreichen mit vom Smog geröteten Augenschleimhäuten in der Dunkelheit den Campingplatz...

11.01.2010 Die Müllsammlern

Wir kommen 20 Minuten zu spät zu unserer Verabredung mit dem Manager des Youth Centers und müssen einen hohen Preis dafür zahlen. Er wusste, dass wir aus Deutschland kommen, hat genau eine Stunde Zeit für uns eingeplant. Hat 3 Jahre für die GTZ gearbeitet und hätte nie im Leben damit gerechnet, dass sich auch die Deutschen mal verspäten könnten... Er ist Gründer des Projektes “Spirit of youth”, die mit den hier lebenden Jugendlichen eine Art Schulung für Institutionen erarbeitet haben. Sie wollen diese für das Thema Mülltrennung (organischen von nicht organischen) sensibilisieren um ihre Arbeit und Lebenssituation zu verbessern. Sie haben augenscheinlich aus eigener Kraft erkannt, dass es noch Möglichkeiten zur Situationsverbesserung gibt... So bleibt uns nur eine Verabredung zum Interview für morgen und ein Rundgang durch das Viertel der koptischen Christen mit Moussa, einem jungen Mann, der hier aufgewachsen und ebenfalls im Müllgeschäft tätig ist. Wir sehen die verschiedensten Schritte der Mülltrennung, -säuberung,- zerkleinerung,- wiederverwertung oder des Wiederverkaufs (zum großen Teil nach China). Schöne Projekte, die durch viele internationale Geldgeber gefördert werden.

Im Zuge unserer Internetrecherchen haben wir einige deutsche NGOs gefunden, die hier soziale Projekte unterstützen. Die Menschen bekommen kostenlose Impfungen gegen Hepatitis, sie tragen während der Müllsortierung keine Handschuhe womit hier die hohe Hepatitisrate begründet wird. Warum die ausländischen Geldgeber benötigt werden, wird uns dennoch nicht ganz klar, schließlich scheint das aufgebaute Müllgeschäft zu boomen. Die einzelnen Schritte werden vom jeweils nächsten Arbeitsschritt teuer erworben, die Endprodukte an die Chinesen verkauft. Außerdem stehen wir in einem tiefen Zwiespalt, der vielleicht nicht von jedem Leser verstanden werden kann. Zur Zeit ist Kairo eine relativ saubere Stadt, deren Müll aufgrund der Arbeit der koptischen Christen zu einem hohen Grad wiederverwertet wird. Sollte ein gut funktionierendes Müllmanagement in diese Stadt eingeführt werden, würden Tausende arbeitslos werden. Sollten auf der anderen Seite die Menschen durch Bildungsmaßnahmen in anderen Berufen unterkommen, würde die Stadt in ihrem Müll versinken. Doch verdienen die Menschen nicht trotzdem eine Chancengleichheit und ein Leben jenseits des Mülls von anderen? Wir haben auf diese Fragen kaum Antworten gefunden, trotz das wir uns 4 Tage lang in dem Viertel aufgehalten und uns mit den dort lebenden Menschen unterhalten konnten. Uns zeigen diese Projekte nur deutlich- “Hilfe” zu leisten, ist nicht einfach. Man muss sich ganz viel Zeit nehmen um alle Verbundenheiten verstehen zu können

12.01.2010 Interview ohne interviewter Persönlichkeit

Pünktlich auf die Minuten stehen wir im Büro von Ezzat Naem. Dieser fragt, für wen wir denn überhaupt diese Filme produzieren. Wir können mit keinem Sender, mit keiner großen Organisation dienen, haben keine tolle Visitenkarte mit dem UNESCO- Logo und unserer Internetseite. Dies hätte ihn vielleicht beeindrucken können, so sind wir nur “kleine Studenten”, denen er gerne Auskunft gibt aber keineswegs ein Interview vor laufender Kamera...

Also gut, nehmen wir mit einem höflichen Lächeln die Informationen entgegen und sprechen diese dann selbst in die Kamera... Anschließend treffen wir Moussa, der uns sein Familienhaus und seinen Shop zeigt. Voller Stolz zeigt er uns seine neu angeschaffte Maschine zur PET- Flaschen Zerkleinerung. Er verkauft diese dann weiter nach China. Anschließend beantwortet er uns noch einige Fragen und begleitet uns zum Krankenhaus, welches durch eine finnische Organisation erbaut wurde. Hier können wir mit einem Arzt über die vorzufindenen Erkrankungen sprechen.

Wir fahren in die Stadt, besorgen neue Tapes für die Kamera, was sich als nicht ganz so einfach erweist. Haben eine Adresse von einem großen Panasonicladen, doch man versucht uns mehrfach zu erzählen, dass diese Adresse nicht existiert... Wir werden dennoch fündig und bekommen eine weitere Adresse, bei denen wir eventuell die Tapes bekommen könnten und so weiter und so fort....

13.01.2010 Schlaftag auf dem Campingplatz

Wir lernen Wolfgang und Sybille kenne, die mit dem Motorrad gen Süden unterwegs sind.

Ein französisches Rentnerehepaar ist seit 6 Jahren unterwegs, die Welt zu erfahren. Der letzte Kontinent sollte die höchsten Hürden aufweisen. In Kenia hat die französische Botschaft keine Zusage für das Sudanvisum gegeben. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Auto nach Italien zu verschiffen und von dort aus wieder nach Tunesien, um dann über Lybien nach Ägypten zu gelangen, weiter Richtung Türkei...verrückt... Bleiben auf dem Platz um unsere Abreise morgen vorzubereiten- die letzten Schliffe am Auto sind noch fällig und die Wäsche muss noch gewaschen werden.

14.01.2010 Kairo- City of 6th October

Früh am morgen machen wir uns auf den Weg gen Westen. Zurück in Richtung Assuan haben wir uns die westliche Wüstenstrecke über die Oasen ausgesucht. Schräg gegenüber der Gizehpyramiden dann der nächste platte Reifen- Glück, wir bemerken es rechtzeitig und der Reifen bleibt ganz. Nach dem Reifenwechsel suchen wir in der City of 6th October eine Werkstatt, die uns 2 Löcher für 1 Euro repariert. Die Löcher sind wieder durch einen Nagel entstanden... Gegen 14.00 kommen wir weiter, fahren an der “Wüstenmüllkippe” vorbei, dann kommt nichts mehr. Kilometer um Kilometer wird der Sand feiner und schöner, wir biegen einfach rechts ab und suchen uns in der unendlichen Weite einen Schlafplatz. Liegen unter dem fantastischen Sternenhimmel, in der Ferne am Himmel die letzten Lichtstrahlen Kairos... Wir haben es geschafft, die Stadt zu verlassen, haben unglaublich viel erledigt, können wirklich zufrieden sein. Tief durchatmen.... Wir bekommen eine SMS von der Feuerwehrbesatzung. Sie haben den Sudan bereits verlassen, sind in Äthiopien. Ronja ist krank, hatte Fieber, ist aber wohl keine Malaria. Drücken wir die Daumen!!!

15.01.2010 City of 6th October- Oase Bahariya

Gegen 17 Uhr kommen wir in der Wüstenoase an und trauen unseren Augen kaum- der alte Landrover Matilda mit Chris und Laura... Die Drei haben Kairo einen Tag vor uns verlassen und wir schulden ihnen noch 10 Pfund... Außerdem treffen wir noch auf ein junges Paar aus der Schweiz, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Eigentlich Richtung Indien wollen, in Syrien aber den Plan wegen Kälteeinbruch geändert haben und nach Ägypten gekommen sind .

16.01.2010 Oase Bahariya- Weiße Wüste

Chris und Jonathan liegen wieder den ganzen Tag unter der Lady. Wir haben gestern auf der Strecke ca. 20 Liter Benzin auf 60 Kilometern verbraucht- eindeutig viel zu viel... Die beiden verstellen die Motorendrehzahl, tauschen die Zündkerzen (wobei festgestellt wird, dass eine Kerze ohne Dichtung von der Motorenwerkstatt eingebaut worden ist) und drehen nochmals an den Vergaserschrauben. Außerdem leckt Öl aus dem Ölpeilstab, welcher beim Ausbau als nicht mehr funktionsfähig deklariert werden muss. Mit Komponentenkleber versuchen wir die Leckage abzudichten. wir verabschieden uns von Chris und Laura, die beiden fahren in die weiße Wüste. Wir verlassen die Oase gegen 16 Uhr und suchen uns unter dem sternenklaren Himmel in der Wüste einen Schlafplatz. Die Nächte sind stockfinster, der Neumond lässt sich derzeit für 20 Minuten Blicken. Wir können Mars und Saturn sehen.

17.01.2010 Weiße Wüste

Während wir uns zur Weiterfahrt vorbereiten, sehen wir ein grünen Landrover auf uns zusteuern- Matilda. Chris hat uns von der Straße aus gesehen, wir wollten uns gestern eigentlich hinter den Sanddünen verstecken, doch das wollte die Lady nicht... Wir verabreden uns am “Christal Hill”, dieser Berg soll fantastische Kristalle beherbergen. Wollen beide die gleiche Route durch die weiße Wüste nehmen, meinen uns dann irgendwo zu treffen. Die beiden fahren vor, wir feilschen noch den Eintrittspreis aus. Irgendwann finden wir einen Steinhaufen am Wegerand aufgetürmt, der Eingang zum Treck. Kurze Zeit später eine kleine Palmenoase mit einem Wasserlauf, an der wir wieder auf Matilda stoßen. Und wie der Zufall es so will haben beide Autos den eigentlichen Eingang zum erstgewählten Treck verpasst und sind in den darauffolgenden eingebogen. Wir entscheiden, die Nacht an der Oase zu verbringen, bauen das Sonnensegel auf, bereiten ein Lagerfeuer vor, Teig für Stockbrot und Folienkartoffel.

Am Feuer wieder tiefgreifende Gespräche. Was treibt Menschen nach Afrika? Nach langen Überlegungen kommt uns nur die Tierwelt glaubwürdig vor. Denn um einen tiefen Einblick in Kulturen und Religionen zu bekommen, um Traumstrände zu finden oder um kulinarische Köstlichkeiten zu genießen, dafür suchen Touristen sich andere Orte aus. Was könne wir von Afrika lernen, ist einen weitere große Frage an diesem Abend. Chris ist nach langer Reise zu dem Punkt gekommen- nichts. Ich sehe dies noch ein wenig anders, habe in meinen Augen schon viel gelernt.

Jonathan und ich reden viel über Chris, er ist oft Thema in unseren Gesprächen. Wir denken, an ihm deutlich sehen zu können, dass eine Rückkehr oder eine Pause von einer derartig langen Reise sehr wichtig ist. Allein um all die Eindrücke und Erlebnisse in seinem eigenen Kulturkreis sortieren zu können, um sich selbst zu ordnen. Und um auch die schönen Seiten der einzelnen Länder zu erkennen. Wäre ich damals nach 7 Monaten Nigeria nicht wieder nach Hause zurück gekommen, hätte die Erlebnisse im einzelnen nicht verarbeitet sondern wäre über Jahre mit neuen konfrontiert worden, hätte ich dann je die schönen Seiten Nigerias erkannt? Dadurch, dass ich Nigeria mit all den damals durchgemachten Krankheiten verarbeitet habe, kann ich jetzt in meinen Augen die mir bislang geschenkte Gesundheit auf dieser Reise schätzen. Spannend, ob Chris in einigen Jahren seine Standpunkte verändert, indem er verarbeitet hat...

18.01.2010 Weiße Wüste

Eine erneute Verabschiedung. Am Nachmittag stehen wir vor einer großen Sanddüne, die sich über Kilometer hinweg erstreckt. Auch wenn wir uns mittlerweile ganz sicher und wohl im Sand fühlen, genießen wir den unberührt wirkenden Sand und lassen das Auto stehen. Erklimmen einen Berg, auf dem wir einen fantastischen Ausblick auf die irre geformten Kalksteine, die in ihren Formungen deutlich zeigen- hier gab es einst Wasser, haben.

19.01.2010 Weiße Wüste- Oase Farafra- Oase Dachla

Wir folgen unseren Spuren von gestern, um zurück zur Straße zu gelangen. Zwischen zwei Felsen erblicken wir....Matilda..... Ein großes Hallo, gemeinsam fahren wir zu der sogenannten “The two doors” Felsformation. Dann trennen sich unsere Wege erneut. Wir kurven noch ein wenig durch den Sand, danach weiter zur Oase Farafra. Kommen auf die schlaue Idee, nochmal mit dem Fährbüro für die Sudanfähre über unser noch nicht vorhandenes Sudanvisum zu sprechen. Bekommen eine nahezu schockierende Antwort- wir müssen das Visum vor Samstag besitzen, sonst kann er unser Auto noch nicht verladen.

Ach du Schande, dass bedeutet wir müssen am Donnerstag morgen in Assuan sein da Freitag die Botschaft geschlossen sein wird! Heute ist Dienstag und wir haben noch knappe 1000 Kilometer vor uns... Wir fahren los. Es ist bereits vier Uhr. Wir finden in unseren Unterlagen die Nummer der sudanesischen Botschaft und versuchen dort einen Ausweg zu finden. Anschließend noch mals ein Gespräch mit dem Fährbüro- ok, wenn wir Sonntag das Visum bekommen können kann er Samstag trotzdem unser Auto verladen. Hakuna matata...

Puh, einen Gang zurückschalten. Echt gefährlich, wenn man auf der Reise “das Leben bis zum nächsten Tag” annimmt. Da sind wir doch schon ganz schön gut drin :-)

20.01.2010 Oase Dachla und der Öldruckfühler

Wir erreichen in der Dunkelheit die Oase und das Camp Nasser. Um das lodernde Feuer sitzen Trommler, Männer die Wasserpfeife rauchen. In der Nacht wache ich auf, höre feine Regentropfen auf dem Autodach. Verdränge den Gedanken an Regen aber schnell, schließlich sind wir tief in der Wüste. Doch am Morgen sehe ich feine Tropfenspuren im Sand und wir erfahren von Nasser, dass es tatsächlich seit 2 Jahren zum ersten Mal in Dachla wieder geregnet hat. In Luxor und Assuan gab es ein Unwetter mit einigen Toten, Straßen sind gesperrt und Häuser zerstört worden. Nasser hilft uns, einen neuen Öldruckfühler zu organisieren. Wir hatten gestern auf Grund Undichtigkeit des alten massiven Ölverlust gehabt, mit dem wir ungern weiterfahren wollen. Doch der neue Druckfühler ist um Millimeter zu klein, kein anderer aufzufinden. Wir entscheiden uns, den kaputten Plastikkern raus zunehmen und die Stelle zu zulöten. Am Nachmittag machen wir uns auf den Weg, finden einen schönen Schlafplatz in den Sanddünen kurz vor der Oase Karga

21.01.2010 Oase Karga- Irgendwo im Nirgendwo

Früh machen wir uns auf den Weg, erklimmen die Sanddünen und schauen uns die alte Innenstadt von Karga an. Die Wüste begegnet uns mit unglaublich abwechslungsreichen Strukturen und Farben. Wir hatten eigentlich vor weitere Projekte in Ägypten zu besuchen, unter anderem das Sekem- Projekt nördlich von Kairo. Doch nachdem wir in einem Supermarkt sämtliche ökologisch hergestellten Nahrungsmittel von der Sekemfarm, die vor einigen Jahren in der Wüste etabliert worden ist, fanden, mußten wir uns eingestehen, dass für ein derartiges Projekt unsere Ressourcen zu gering sind. Mittlerweile scheint es in Ägypten auch sehr üblich, die Wüste als fruchtbares Land zurück zu gewinnen. Selbst neue Städte werden in den Wüsten erbaut, da die Population weiterhin explodiert. Erstaunlich, dass die Menschen davon ausgehen, dass die Urzeitwasserressourcen für immer gefördert werden können. Der Campbesitzer Nasser aus Dachla, der einige Jahre in Europa verbracht hat ist überzeugt davon- die Wüstenwasserressourcen liegen allein in Allahs Macht und Händen.

22.01.2010 Assuan

Am frühen Nachmittag erreichen wir Assuan. Überqueren den Nil, sehen die noch immer vom Unwetter überschwemmten Felder und Höfe. Assuan ist eine unglaublich angenehme Stadt, touristisch angehaucht aber noch nicht “versaut”. Nett angelegte Grünanlagen, die gepflegt und sauber gehalten werden, wie in vielen Orten Ägyptens. Wir kaufen zwei Wasserpfeifen, handeln unerbittlich von 280 Pfund auf 60 Pfund. Dann kommt wieder eine spannende Geschichte der Gasflaschenfüllung... Wir bekommen einen Jungen ins Auto gesetzt, der uns in ein Wohngebiet lots. Dort werden wir umringt von Männern und Kindern. Einer der Männer reißt die Gasflasche an sich und verschwindet. Wir hinterher. Wir werden in ein Lehmwohnhaus geführt, indem wir den Preis von 2,50 Euro gesagt bekommen. Dann folgt eine lange Prozedur bis unsere Flasche voll ist. Im Haus sitzt eine alte Frau auf einer Bastmatte, klagt über ihre dicken Knie. Kinder laufen mit freien Unterkörpern durch die Räume, der Esel steht im Flur und kaut am trockenem Gras. Dunkel, ohne befestigtem Untergrund, ein löchriges Wellblechdach. Wir entscheiden uns die Nacht außerhalb der Stadt zu verbringen, fahren über den großen Staudamm, sehen die “wirkliche Größe des Nils”.

23.01.2010 Assuan und das Fährbüro

Um 9 Uhr sollen wir uns im Büro von Mr. Salla einfinden, treffen hier auf all die Europäer, die wir in Kairo im Camp bereits kennen gelernt haben. Jeder hat seine Geschichte der weißen Wüste zu erzählen und so vergeht die lange Wartezeit wie im Fluge. Wir müssen die Ausreise für die Autos abfertigen, was eine Menge Papierkrieg bedeutet. Die Traficpolice verlangt dann von allen unerwartete 20 Pfund. Unerwartet, da Mr. Salla vorher die Auskunft erteilt hat, wir bräuchten nirgendwo zahlen. Ein allgemeines Stirnrunzeln und unzufriedene Gesichter, doch jeder greift in die Tasche und zieht das verlangte Geld hervor. Wir nicht. Jonathan verlangt unerbittlich eine Rechnung von ihm, meint “ohne Rechnung kein Geld”. Es wirkt. Wir gehen, ohne zu zahlen.

Zurück im Fährbüro bekommen wir die Auskunft, dass unsere Lady mit dem Auto der Holländer zusammen erst am Montag verladen wird, die anderen Autos bereits morgen. Wir sind erst ein wenig sauer, da wir doch rechtzeitig gebucht haben, noch vor den anderen Deutschen. Am nächsten Tag wissen wir, warum...irgendwie scheint doch alles perfekt geplant zu sein...

24.01.2010 Assuan und die sudanesische Botschaft

Nach einer wunderschönen Nacht direkt am Nil wache ich mit unglaublichen Kopfschmerzen auf. Mir ist übel, ich muss mich übergeben, habe Durchfall. Und mein Kopf explodiert fast... Das kann doch nicht sein, nicht heute, wir müssen unbedingt unser Visum besorgen und nochmals zu Mr. Salla ins Büro! Jonathan nimmt mir den Stress ab, legt mir eine Decke in den Schatten der Palmen, kocht mir einen Tee. Wir fahren in die kleine Stadt, auf noch wackligen Beinen suchen wir die sudanesische Botschaft. Treffen dort auf ein junges Paar aus Deutschland/ Mexiko, sie fahren per Rad nach Kenia, wollen danach per Flugzeug weiter nach Asien. Problemlos erhalten wir das Visum, auch hier ist der teure Botschaftsbrief nicht von Nöten. Wir entscheiden uns für ein billiges Hotel, eine Dusche ist dringend von Nöten. Auf Absprache treffen wir auf der Dachterasse die Holländer und Bruce und Petra. Toller Ausblick über die Stadt und über den Nil, netter Abend bei Wasserpfeife und kaltem Bier.

25.01.2010 Goodby Egypt

Um 10 Uhr müssen wir am Hafen sein, gegen 15 Uhr sind unsere Autos verladen. Für die Tickets müssen wir uns 50 Pfund von den Franzosen leihen, da unser Bargeld nicht mehr ausreicht. Jaja, die Studenten...

Wir lernen eine deutsche Familie kennen, die zwei Jahre in Kenia gelebt haben uns nun der Korruption entfliehen wollen. Sie sind mit ihrem Traktor und einem selbstgebautem Wohnwagen auf den Weg nach Kairo, wollen hier den Trecker verkaufen. Doch sie haben kein Carnet und bekommen keine Erlaubniss, das Fahrzeug einzuführen. So wird der Trecker zurück in den Sudan verschifft und soll in Wadi Halfa verkauft werden. Verrückt... Mit Boss zusammen gestalten wir die lange Wartezeit- kochen Kaffee, decken den Tisch als wären wir zu Hause. Die anderen sind seit 10 Uhr auf dem Schiff und halten uns gute Schlafplätze unter dem Rettungsboot frei. Unser Auto muss auf ein “Beiboot” verladen werden und kommt einen Tag später als wir in Wadi Halfa an. Die anderen Deutschen haben ihre Autos bereits gestern verladen und bekommen am Montag ihr Auto wieder ausgehändigt. Das Schiff ist unglaublich voll, da die Tour d`Afrique mit uns verschiffen- 67 Radfahrer, die die Strecke Kairo- Kapstadt binnen 4 Monaten bestreiten. Ein unglaublich logistischer Aufwand dazu- neben Köchen sind Mechaniker und Krankenschwestern an Bord. Die Tour kostet knappe 8000 Euro pro Person. Nachdem alle Kartons und Säcke im Schiffskörper verstaut sind, werden unsere drei Fahrzeuge oben drauf geschnallt. Na, wenn das mal gut geht..... Das Deck ist kaum passierbar, überall liegen Menschen auf Matten, stehen Kartons oder Fahrräder. Unten in den Räumlichkeiten steht die Luft, die Menschen sitzen dicht gedrängt, versuchen sich einen Schlafplatz zurecht zu boxen. Fantastisch. Wir liegen auf der Decke, die Sonne geht unter, der warme Wind weht uns um die Nase, hören Hörbuch, schauen in den Sternehimmel und genießen das warme Gefühl im Bauch, bald ein neues Land erkunden zu können. Ich nutze die Zeit, Ägypten noch einmal im Kopf revue passieren zu lassen, die teilweise wirklich anstrengenden Menschen mit der schöne Landschaft zu kompensieren. Fasse die Erlebnisse im Kopf zusammen und merke, wie diffus und mittlerweile doch umfangreich die Antworten auf unsere “Leitfrage” ausfallen...

Wir wollen uns mit dieser Frage der Nachhaltigkeit von Entwicklungshilfe auseinander setzen und uns fernab der Literatur, der gut gemachten Werbekampagnen vieler Hilfswerke und der zynischen Contraargumente neoliberaler Wirtschaftsdenker ein eigenes Bild machen, in dem wir Menschen und Projekte auf dem Weg zwischen Deutschland und Kenia besuchen. Natürlich setzen wir uns dabei immer wieder mit den beiden Hauptargumenten beider Lager auseinander, drehen die Argumente in Gesprächen hin und her, um für uns eine brauchbare Antwort zu finden.

Die Helfer und Humanisten sehen das Leid und Schicksal des einzelnen und fragen, in wie weit es ein Mensch zulassen kann, dass Kinder, unschuldige Wesen, die nie einem anderen etwas zuleide getan haben, in ein Schicksal der Armut, des Hungers und Elends geboren werden, während deren Altersgenossen in der westlichen Welt von ihrem ersten Atemzug an medizinisch perfekt umsorgt und ab dem frühesten Kindheitsalter mit modernsten Lehrmethoden auf ihr späteres Leben vorbereitet werden. Sie sehen die Ungerechtigkeit zwischen denen, die nach sechs Stunden Schulunterricht sich ihren Hobbys und Freuden widmen können gegenüber denen, deren Alltag sich nur zwischen Wasserholen, Hausarbeit und Feldarbeit unterscheidet, und die, wenn sie Glück haben, mit einem kaputten Reifen auf einer staubigen Straße spielen dürfen. Kann so die Lücke, die bereits heute zwischen Nord und Süd klafft nicht nur noch größer und unüberwindbarer werden, wenn man seine Augen davor verschließt?

Die Kritiker betrachten dieses Szenario hingegen aus einer weiter entfernt liegenden Perspektive und begreifen die gesellschaftliche Entwicklung eher als Funktion. Sie gucken unter anderem auf Statistiken und wundern sich: Wie kann es sein, dass trotz intensivster und teuerster HIV-Präventionsarbeit nach wie vor die Zahl Infizierter in der Dritten Welt unaufhaltsam steigt? Wie kann es sein, dass ein Land, in das unendlich viel Geld deutscher Steuerzahler fließt, um Bildung, Wasserversorgung und Frauenrechte voranzubringen, gleichzeitig über wesentlich mehr und darüber hinaus besserbezahlter Minister verfügt als Deutschland, diese aber kaum etwas für ihr eigenes Land tun? Wieso sollte man in dem hinterletzten afrikanischen Dorf einen Wasserbrunnen bohren, was im allgemeinen eine Tätigkeit ist, die keine allzu hohe technische Herausforderung darstellt, wenn die Menschen dies zwar selber tun könnten, es aber aus Bequemlichkeit oder Streits untereinander unterlassen, es jedoch schaffen, in dem selben Dorf über eine verlässliche und permanente Versorgung an PrePaid-Skretchkarten für Mobiltelefone und CocaCola-Flaschen inklusive eines Pfandsystems zu Verfügen? Und vor allem - welches Signal setzt man, wenn man sich hier einmischt? Warum sollte ein Dorf einen Brunnen selber finanzieren, wenn das Nachbardorf einen geschenkt bekommen hat? Es könnte ja reichen, einfach lange genug zu warten und lauthals zu reklamieren, dass man auch so einen Brunnen der Gerechtigkeit halber haben wolle.

Die Kritiker begreifen Entwicklung als etwas, das nur von innen heraus funktionieren kann und machen darauf aufmerksam, dass durch eine Abnahme von Aufgaben, in welchem Bereich auch immer, ein Vakuum entsteht. Wenn von ausländischen NGOs Brunnen gebohrt werden, warum sollte der eigene Staat noch Brunnen bohren? Wenn von ausländischen Trägern Kinderheime eingerichtet werden, warum sollte sich der Staat noch um Waisen kümmern? Wenn ausländisches Krankenpersonal ins Land kommt, warum sollte dann jemand noch selber die medizinischen Fakultäten besuchen? Welche Chance hat ein afrikanischer Medizinabsolvent in seinem eigenen Land, anerkannt und aufgesucht zu werden, wenn europäische Fachärzteteams die selben Eingriffe und Behandlungen kostenfrei anbieten?

Seit dem wir unterwegs sind, diskutieren wir derartige Fragen immer wieder an immer neuen Beispielen, oftmals angereichert durch komplizierte, kulturhistorische Tatsachen. Wir fragen die Menschen, denen diese Hilfe gedacht ist. Egal welcher Art das Projekt sein mag, die Hilfe wird dankbar angenommen. Sei es drum, dass die Menschen keine eigenen Mittel besitzen, um derartiges zu gestalten oder reine Bequemlichkeit.

Entwicklunghshilfe bringt Arbeitsplätze. Ob für Einheimische oder für Europäer, beide Seiten wollen ihre gute Position besetzt halten. So wundern uns Antworten wie “wir hoffen, für immer hier bleiben zu können” aus dem Gespräch, welches wir mit der Caritasprojektmanagerin im palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, geführt haben, nicht. Der Argumentation der Kritiker können wir entgegnen, dass sie bei weitem zu mechanisch konstruiert ist. Denn betrachten wir den einzelnen, ist es absurd anzunehmen, dass Menschen, die unter den schlimmsten Lebensbedingunen leben und jeden Tag um ihr Überleben kämpfen, von sich aus anfangen werden, an ihrer gesellschaftlichen Gesamtsituation durch langfristig angelegte Maßnahmen etwas zu ändern. Weder haben sie hierfür die nötigen Mittel zur Verfügung, noch besitzen die meisten aufgrund einer mangelnden oder gar nicht vorhandenen Bildung über die Fähigkeit einer solchen strategischen und abstrakten Langzeitplanung. Menschen, die von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben, leben im Jetzt, im heute. Was morgen kommt ist diffus und die Zukunft etwas, was gerne ausgeblendet wird. Betrachten wir auf der anderen Seite die Hypothese, dass allein durch die Streichung externer Hilfe ein Regierungswechsel eintreten wird, scheint uns auch dies höchst fraglich. Eine politische Führung, gerade in einem Land in dem ihre demokratische Legitimation auf fragwürdigen Beinen steht, fängt nicht mit einer nachhaltigen Politik an, nur weil dies ansonsten von keinem anderen geleistet wird. Es gibt genügend traurige Beispiele seit dem Ende der Kolonialisierung in den 60er Jahren, in dem korrupte Administrationen ihre Steuereinnahmen und Devisen lieber in Privatvillen und schweizer Nummernkonten investiert haben, als davon Schulreformen und Präventionskampagnen zu finanzieren.Ungerührt von der An- oder Abwesenheit internationaler Hilfswerke im Land.

So dreht sich die Argumentation im Kreis, doch wir wollen uns von dieser Spiralfahrt nicht schwindelig machen. Es scheint uns persönlich verfehlt, diese Diskussion nur im Großraumkontext zu führen, genauso, wie es uns absurd erscheint, anzunehmen, dass es den einzelnen und richtigen Lösungsweg gibt. Wir sind gespannt, wie sich die Arbeit der NGOs in den kommenden Ländern verhält.Ob es Unterschiede zum arabischen Raum gibt, in dem wir viele Projekte besucht haben, die von Menschen vor Ort initiiert worden sind.