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Libanon
01.12.2009 Libanon, Zhagarta
Keine Straße ist lang, wenn man einen Freud an der Seite hat. Mit diesem Satz starten wir unseren Adventskalender und den heutigen Tag. Mal sehen, ob er Recht behält. Der Soldat kommt wieder, wir lehnen dankend den Tee ab, da unser eigener bereits auf dem Gaskocher kocht. Schafsherden ziehen an uns vorbei, Kinder im schulpflichtigen Alter als Hirten auf Pferden und Eseln. Wir beobachten eine Frau, die einen toten Hund hinter sich her zieht. Diesen als Futter für die anderen Hunde am Strand deponiert und schlendernd den Ort wieder verlässt. Wir packen zusammen und machen uns auf den Weg- knappe 20 Kilometer und wir sind im Libanon. Die Grenze hier können wir nicht nehmen, sie ist nicht offiziell und wir haben kein Visum. Allein die Ausreise aus Syrien dauert über eine Stunde, wir zahlen 20 Euro, von denen wir erst annehmen, dass dies die Visagebühren für den Libanon sind. Mittlerweile sind wir im Handelsfieber- auch diesen Teil der Kultur muss man unbedingt annehmen. Der Mann in der einzig offiziellen Wechselstube staunt nicht schlecht, als wir auf unsere Quittung beharren und er dann doch noch 300 Lira rausrücken muss. Und wenn man es geschafft hat, bringt auch dieser Teil wirklich viel Spaß. Irgendwann werden wir im Libanon willkommen geheißen, doch es kommen noch einige Station auf uns zu. Im Reiseführer ist die Einreise als sehr einfach beschrieben,. man braucht keine weiteren Papiere, der Grenzübertritt geht schnell und unkompliziert. Wir machen andere Erfahrungen- manche Straßen sind doch ein wenig länger... In der nächsten Station sollen wir unseren Pass abstempeln lassen, werden umringt von Kindern mit dicken Geldbatzen in den Händen- Schwarzhandel. Eine Bank? Selbst der Soldat sagt- hier gibt es doch Leute, bei denen ihr euer Geld wechseln könnt. Wir haben keine Ahnung wie der Wechselkurs ist und großes Glück, dass wir mit unserer syrische SIMcard zwischen zwei Welten noch mal ins Internet gehen können. So errechnen wir uns den Wechselkurs und gehen selbstbewusst auf die Straße, um bei den Kindern Geld einzutauschen (natürlich nicht zum Bankwechselkurs...) Die übernächste Station soll eine KFZ- Versicherung sein, der junge Mann verfolgt uns schon die ganze Zeit. Der Soldat sagt, diese koste 50 US- Dollar, der Junge will sie uns für 100 US- Dollar verkaufen. Wir werden in ein kleines Büro gezerrt, lassen uns einen Zettel mit arabischer Schrift an unser Carnet tackern. Er will 60 US- Dollar von uns bzw. 90.000 Libanesische Pfund. Wir machen ihm eine große Rechnung vor, nutzen mehr als 2 Zettel aus dem Block. Geben ihm 50 Euro, von denen wir 10 Euro in Pfund zurück haben wollen. Als er mit Wechselgeld wiederkommt gibt er uns natürlich nicht den Betrag, der uns zusteht. Wieder folgt eine lange Rechnung und wir bekommen unsere letzten Scheine- doch mit einem Lächeln- zugeschoben.Die letzte Station heißt dann Carnet- vorerst brauchen die Männer einen Beweis, dass die Lady Benzin frisst und keinen Diesel. Können sie auch nach dem Startversuch kaum glauben... Dieselfahrzeuge werden angeblich gar nicht ins Land gelassen.
Nach 4 Stunden fahren wir durch eine wunderschöne Allee aus Eukalyptusbäumen- wir sind im Libanon!!! Schlechte Straßen, 28 Grad, chaotische Städte- wir fahren durch Tripolis nach Zgharta, um hier ein Behindertenzentrum der Caritas zu besuchen.
In Tripolis staunen wir nicht schlecht- im Straßenbild findet man neben den Obstständen besetzte Panzer und gut bewaffnete Soldaten. Was wir über den Libanon in Deutschland hören, ist nicht viel, Konflikte mit Israel stehen ganz vorne in unserem Wissen. Und nun das Wetter.... Auch aus diesem Grund haben wir den Weg über Libanon gewählt- wir wollen über dieses kleine Land mehr wissen als die Geschichten über die Hisbollah.
Wir werden von Anita und ihrer Schwester willkommen geheißen, fahren nach dem Essen in die Schule um uns einen ersten Eindruck von dem Projekt zu verschaffen. Anitas Schwester lebt seit 15 Jahren in Australien und ist für 2 Monate zu Besuch. Sie erzählt von dem australischen Sicherheitssystem, vom dem sie sehr angetan ist. “Wenn du das Land verlässt, musst du dich registrieren, wohin du fährst, für wie lange. Die Regierung weiß, wie und wohin du dich bewegst, kontrolliert alles.” Doch sie sieht dies überhaupt nicht als negativ, fühlt sich behütet und bewacht. Erstaunlich, wie verschieden die Sicherheitsbedürfnisse sind- ob es daran liegt, dass sie in einem Land aufgewachsen ist, indem die Regierung “sehr wenig” für die Bevölkerung tut und dies erst in Australien kennen gelernt hat?
02.12.2009 Zhgarta
Den ganzen Tag Filmaufnahmen in einem spannendem Projekt- Film folgt. Am Abend fahren wir mit Rita und Anita in das Herz von Zhgarta- Eden. Eden liegt auf einem hohen Berg, von dem aus wir einen wunderbaren Ausblick mit Sonnenuntergang genießen. Die beiden erzählen unglaublich viel über ihr Land und verändern damit unsere Ideen, die wir einst über dieses Land hatten. Unter anderem erfahren wir, dass der größte Teil der Bevölkerung von Zgharta ein Haus in Eden für die Sommermonate besitzt und eines in Zgahrta für die Wintermonate. Wir wundern uns, denn vorher haben wir gehört, im Libanon würde es keine Mittelklasse geben. Entweder leben die “Armen” unter sehr guten Bedingungen (mit Fernsehen, Auto...) oder die “Reichen” werden in zwei Klassen unterteilt. Denn der Libanon muss einen wirklich großen Teil dieser Gesellschaftsklasse haben, Anita würden wir nicht zu den Armen zählen wollen aber auch nicht zu denen, die ein großes Haus als Jugendzentrum bauen lassen.Der Vater von Rita war einige Male in Deutschland, auch sie hatte dadurch Ideen von “unserem” Heimatland- auch diese konnten wir zum positiven wenden. Doch wir mußten zugeben- nicht alle denken, handeln und leben wie wir, vielleicht stimmt dein Bild doch...
03.12.2009 Zhgarta- Beirut
Wir verlassen Anitas Familie um zum nächsten Projekt nach Beirut zu fahren. Hier erwartet uns Joelle, sie koordiniert für die CARITAS eine Schule für Migrantenkinder. Wir bekommen einen ersten Einblick in das Projekt. Am Abend ein lustiges Bild- zwischen all dem Weihnachtskitsch (dem wir dachten entkommen zu sein - aber- ein großer Teil Libanons ist christlich und feiert dieses Fest mit noch mehr Kitsch als wir...) viele maskierte Kinder- Teufel, Superman, bunte Perücken und die Frage “Süßes sonst gibt es Saures...”04.12.2009 Beirut
Filmarbeiten in der Schule. Haben Glück- heute bekommen die Kinder eine medizinische Untersuchung und feiern Halloween. Außerdem eine Gruppe junger Menschen, die mit den Kindern “Capoeira” macht. Gehe dem Kampfe tanzend aus dem Weg, verteidige dich mit einem Lächeln im Gesicht... Für die Kinder mit Sicherheit sehr förderlich, ein Spiel mit ernstem Hintergrund.Wir besuchen die Familie von Maria. Sie sind seit 5 Monaten im Libanon, kommen aus dem Sudan, Darfurregion. Sie möchten ihren Kinder Bildung geben können, ein Ziel welches ihnen in einem Land wie dem Sudan trotz der vielen dort tätigen NGOs nicht ermöglicht werden konnte. Haben hier die Arbeit der Caritas gefunden uns so wenigstens der kleinen Maria eine Schule bieten können. Doch der Traum von einem freien Leben mit Rechten ist noch längst nicht greifbar. Sie sind illegal, haben keine Papiere, leben mit 200 Dollar im Monat, davon gehen 100 für ein kleines Zimmer ab, indem die vierköpfige Familie lebt. Diese Begegnung gibt meinem Herzen wieder einen Stich- es ist nicht das erste Mal, dass mir bewusst wird, welch großes Glück ich hatte, in Deutschland geboren worden zu sein. Und es wird nicht das letzte Mal sein. Aber es tut jedesmal weh. Glück, andere Worte finde ich für diese Ungerechtigkeit nicht...
05.12.2009 Beirut/ Dbayeh
Das Projekt hat uns wirklich beeindruckt, eine tolle Arbeit und vor allem scheint sie zu funktionieren. Das Projekt ist in der Community der Migranten bekannt und wir dankbar angenommen, auch die libanesische Gesellschaft wirkt offen für das Projekt. Allerdings werden hier unserer Meinung nach nicht die Ursachen, sondern vielmehr die Symptome der Probleme behandelt. Jährlich werden viele Gelder investiert, die man vielleicht auch in die wirkliche Problembekämpfung stecken könnte. Diese wäre zum größten Teil eine politische Entscheidung, was harte Arbeit bedeuten würde, die vor allem weltweit geleistet werden müsste. Doch wenn die Menschen, denen es nicht gestattet wird, ihre Rechte hinter der Landesgrenze eines Landes, indem sie nicht geborene wurden, zu leben, plötzlich diese Rechte zugesprochen bekommen, würde das Problem der “Illegalen” nicht mehr existieren. Klingt ein wenig einfach, natürlich wäre die Arbeit der Integration weiterhin zu leisten. Sehr positiv empfinden wir in diesem sowie in dem Projekt in Zgharta, dass die Motivation der jeweiligen Projekte von den Libanesen kommt und nicht durch außen hineingebracht wurde. Die Projekte wurden durch hier lebende Menschen gestartet und irgendwann wurde von außen finanzielle Hilfe zugesagt. um die Arbeit auszuweiten. Die Angestellten sind Libanesen, gut ausgebildete Fachkräfte.Nach einem zweistündigen Interview mit Joelle, Sozialarbeiterin der Caritas, fahren wir in das in Dbayeh liegende palästinensische Flüchtlingslager. Wir hatten einen Kontakt zu “A-films”, die aus dem Camp in Tripoli Filme veröffentlichen. Leider bekommen wir keine Genehmigung, das militärisch abgeriegelte Camp zu besuchen.
Das Camp in Dbayeh ist das einzige von den 12 Camps im Libanon, in dem Christen leben. Wir treffen Mirelle in der Caritasstation an, sie erzählt uns sämtliche Hintergründe der Konflikte. Erzählt, wie die Palästinenser im Libanon leben, von sämtlichen Menschenrechten ausgegrenzt zu sein schein. Wir gehen durch das Camp, die Menschen haben Häuser zur Verfügung gestellt bekommen, die auf Pachtland gebaut wurden. Die Pachtdauer beträgt 99 Jahre. Und dann? Niemand weiß es, selbst der libanesische Staat scheint dieses Problem auszublenden. Einige Hilfsorganisationen haben Langzeitprojekte für die Menschen etabliert, Gesundheitsstationen, Hausaufgabenhilfe, Physiotherapie für Ältere. Doch auch hier sieht man- eine Symptombehandlung, für die über die vielen Jahre viel Geld investiert wird. Aber für das eigentliche Problem scheint es keine Lösung zu geben, nicht ansatzweise...