Sudan

26.10.2010 Sudan

Gegen 6 Uhr dröhnt die Ansage, die Sonne würde jetzt aufgehen und gleich können wir Abu Simpel sehen, durch die blechernen Lautsprecher. Gegen 10 Uhr laufen wir in den “Hafen” ein. Wir haben viel Zeit im Gegensatz zu den anderen, die ihre Autos heute noch entgegen nehmen dürfen. Diese müssen die Schlacht an der Tür, um den Reisepass und ums Gepäck mitspielen, da die entsprechenden Büromenschen angeblich um 15 Uhr ihre Türen schließen. Wir sitzen auf der Reling, lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und beobachten die Entladung des Schiffes. Diese dauert, wie die Beladung, Stunden.

Entspannt und gespannt gehen wir als letztes von Bord. Wir kommen in eine große Halle und rennen einem Mann namens Maghdi in die Arme. Wir versuchen diesen Armen zu entgehen, denn dieser Mann verlangt für die Abwicklung der Autoeinreiseformalitäten ganze 120 Pfund- 50 davon für seine Nase. Wir lehnen seine Hilfe dankend ab und sind mal wieder die einzigen aus der ganzen Gruppe, die versuchen den Papierkrieg alleine zu führen. Wir schauen uns die Zettel und Stempel der anderen an und meinen selbstbewusst, dass wir das schon hinbekommen... Großes Problem- all unsere Dollar und Eurogeldreserven sowie das Carnet befinden sich im Auto, insofern können wir eh erst morgen zur Tat schreiten. Wir besorgen uns die Aufkleber, die bestätigen, dass unsere Taschen vom Zoll kontrolliert worden sind, von einem gelangweiltem Polizisten, der Touristen als Schmuggler überhaupt nicht in Betracht ziehen würde. Dabei haben alle von uns noch mindestens ein ungeöffnetes Bier in der Tasche... Von den Ägyptern und Sudanesen werden alle Inhalte sorgfältigst über Stunden geprüft. Die Schlange vor der Zolltür zieht sich, die Menschen stehen unter der glühenden Sonne, wir werden an dieser Schlange vorbei geleitet, alle scheinen damit einverstanden zu sein... Von Bodo und Bine (die geplant hatten die Europäische Küste mit ihrem Truck zu fahren und sich dann anscheinend ein wenig verfahren haben siehe www.kuestenforum.de) lassen wir uns nach Wadi Halfa mitnehmen, treffen hier zum Glück, ohne einen Pfund in der Tasche, auf Eva und ihren mexikanischen Freund, die mit dem Rad nach Kenia unterwegs sind. Auf dem Weg zu einem Hotel treffen wir die Motorradfahrer aus England, die erzählen, dass die Tour d Afrique Leute ein Zeltcamp haben. Wir beschließen zu sechst, dort zu übernachten.

Ich sehe einen Laster, beladen mit vielen jungen Männern vom Militär. Sie johlen, schreien, singen und strecken triumphierend ihre Gewehre in die Höhe. Schlagartig werde ich in ein Buch zurückversetzt, welches ich vor kurzer Zeit über Kindersoldaten gelesen habe. Ein kurzes Gefühl von Angst und Zweifel beherrscht mich. Wir sind im Sudan, einem Land welches wir aus den Medien nur in den schlimmsten Zügen geschildert bekommen. Wir sind hier, um das Land zu erfahren, um mit den Menschen zu sprechen, um die Realität zu erkennen. Durchatmen, ich bin hier, weil ich hier sein will! Die Zweifel lassen sich nur all zu schnell vertreiben.

Wadi Halfa wird jeden Montag bei Fährankunft derartig von Europäern überfallen, wie heute. Im Jahr fahren ca. 300 Autos und ca. 5000 Menschen die Strecke Kairo- Kapstadt über den Sudan. Nicht von allein kommt irgendwann das Gefühl auf, man würde gerade etwas “völlig normales” machen...

27.01.2010 Wadi Halfa

Wir stiefeln mit guter Laune zu den Büros, in denen vermeintlich unsere Einfuhr für die Lady geklärt werden könnte. Dies in Erfahrung zu bringen ist nicht schwer, da Wadi Halfa lediglich eine geteerte Straße und ein paar wenige, staubige Sandstraßen besitzt. Wir betreten den Hof und laufen Maghdis Neffen in die Arme. Wir erklären ihm, dass wir kein Geld haben und deswegen seinen Dienst nicht in Anspruch nehmen können und selbst auf der Suche nach den richtigen Stempel sind. Seine Antwort ist kurz und knapp. Wir können versuchen, es selbst zu erledigen, aber es wird schwierig sein. Außerdem wären alle relevanten Stempelbüros im Hafen und nicht hier.

Wir können uns Geld leihen und immerhin schon mal die erforderliche Reisepassregistrierung durchführen. Ansonsten heißt es warten. Zusammen mit den Franzosen und den Holländern sitzen wir den gesamten Tag auf harten, selbstgeflochtenen Stühlen, trinken Tee, fangen irgendwann ein Fußballspiel an. Von Maghdi nur die Worte von gestern- das Schiff kommt am Morgen an, muss dann entladen werden und dann können wir innerhalb von 10 Minuten den Hafen verlassen. Für uns gilt das nicht, wir müssen vorher noch die Stempel organisieren. Ansonsten keine Spur von Maghdi. Am Abend kommt sein Neffe vorbei, der uns grinsend mitteilt, dass das Schiff heute wohl doch nicht mehr käme. Wir beschließen, die Nacht mit den anderen im Hotel zu verbringen.

28.01.2010 Angekommen!?

Um 8.30 Uhr sollen wir beim Coffeshop warten, wer nicht da ist, ist Maghdi. Er kommt um 9.30 Uhr und hat keine Ahnung, wo das Schiff ist. Wir drängen ihn, er solle Verbindung mit dem Captain aufnehmen, der ist angeblich noch vor Abu Simbel. Wir errechnen- noch 5 Stunden Wartezeit. So langsam werden wir doch nervös, sollten wir unser Carnet erst am Nachmittag aus dem Auto bekommen müssen wir damit rechnen, dass die Büros bereits geschlossen sind und wir weitere 2 Tage in Wadi Halfa verbringen müssen. Wobei die Stadt überhaupt nicht unangenehm ist- im Gegenteil! Ich genieße die dörfliche Struktur, die Motorengeräusche der Tuktukus, die freundlichen Menschen. Die kleinen Marktstände und Verkaufsläden. Es gibt nicht viel, aber das nötigste. Die Preise sind recht gesalzen, für 1,5 Liter Wasser zahlen wir 0,50 Euro, für 5 kleine Fladenbrote 0,25 Euro.

10 Minuten später kommt Maghdi wieder- das Schiff wäre jetzt da. Ich würde an seiner Stelle in den Erdboden versinken, aber er tut es nicht. Wir machen uns auf den Weg zum Hafen und besorgen das Carnet und Bargeld aus der wohl behaltenen Lady. Viele Männer sind bereits dabei, die Packete und Säcke vom Schiff auf die anrollenden Lastwagen zu stapeln, aber auch dies wird noch einige Stunden in Anspruch nehmen. Mit dem Carnet in der Hand versuchen wir uns im Gebäude nach dem Stempelmenschen durchzufragen und landen, wen wundert es, wieder in den Armen von Maghdi. Dieser erklärt uns nun, dass er derjenige ist, der den Stempel hat, niemand sonst. Okay, erster Kampf scheint verloren. Denn jeder offizielle Polizist und Zollbeamte schickt uns zu Maghdi. Wir geben ihm wiederwillig unser Carnet, er fängt an die Papiere auszufüllen. Ich frage nach dem Preis, wir bekommen die gleiche Antwort wie alle anderen zuvor. 120 Pfund. Wir fange an mit ihm zu diskutieren, er steckt seine Zettel wieder ein, wir unsere und wir gehen. Dann eben nicht. Er weiß genau, in welch einer Position er ist und kann sich seinen Preis ausdenken, kann es sich leisten, seinen Koffer wieder zuzuklappen und auf ein Winseln unsererseits zu warten. Geschlagen gehen wir zurück zum Auto, tauschen uns mit den Holländern aus und kochen Kaffee. Maghdi kommt, kontrolliert die Motorennummern von den anderen Autos, uns ignoriert er. Wir haben keine andere Chance, dass sagt auch Margret, die wir telefonisch um Rat gefragt haben. Margret lebt seit 20 Jahren im Sudan und sagt- zahlt, sonst werdet ihr noch Tage in Wadi Halfa verbringen müssen... Geschlagen gebe ich Maghdi das Papier, wir haben es immerhin versucht. Freundlich zugewandt erklärt er uns das Prozedere. Gegen 16 Uhr ist das Schiff entladen und innerhalb von einer Stunde sind die Autos an Land. Geschlossen verweigern wir, den Hafenarbeitern Geld für das Entladen unserer Autos zu geben, auch Boss und Caroline sind mittlerweile ziemlich empört. Die Männer haben hart gearbeitet, den gesamten Tag unter der glühenden Sonne schweres Gepäck entladen. Nun sollen wir jeder 10 Pfund für eine Stunde Arbeit zahlen, wobei wir die Autos selbst von der Fähre gefahren haben. Im Vergleich- für 1 Pfund kann man in einem Restaurant Falafel essen. Wie selbstverständlich erklärt Maghdi uns nun, dass die Zollbeamten, die unsere Autos noch durchsuchen müssen, bereits nach Hause gegangen sind. Würde er jetzt nicht für uns hier sein, müssten wir bis Sonntag warten. Was für ein beschissenes Spielchen... Der Beamte wird per Taxi gebracht, wir verweigern abermals die Zahlung für die Anfahrt. Er schaut missgelaunt in die Autos, hebt die Bettdecke und öffnet jeweils eine Kiste. Im Nachhinein stellen wir fest, dass der Beamte unsere Vorratskiste mit Nahrungsmitteln geöffnet hat, in der wir noch ein Flasche Aldiwhiskey umherfahren. Er hat sie nicht gesehen. Alkoholeinfuhr ist streng verboten. Er drückt seinen Stempel auf den Zettel und verschwindet wieder. Im Coffeeshop dann die letzten und härtesten Züge des Tages. Maghdi hat die für uns wichtigen Zettel in seinem Klappkoffer, wir das Geld in der Tasche. Ein langer Kampf beginnt, er will mehr Geld als vereinbart, wir können ohne die Zettel das Land nicht wieder verlassen. Er schiebt die Schuld auf andere, erst auf die Ägypter, dann auf seinen Neffen, dann auf unsere Handys. Wie ich diese Charaktereigenschaft hasse- immer das Gesicht waren, nie einen Fehler zugeben. Schuld haben immer die, die nicht vor Ort sind... Nach erfolgter Zahlung besitzt er sogar noch die Frechheit, ein “sorry for all the trouble you had” raus zubringen.

Nein, sage ich, dieses sorry werde ich nicht annehmen. Ich bin noch nie einem Menschen wie ihm begegnet und hoffe, die Menschen hier im Sudan sind anders, damit ich den Sudan genießen kann. Damit gehen wir, er auch. Mit Boss und Caroline zusammen fahren wir in der Dunkelheit in die an Wadi Halfa direkt angrenzende Wüste, kochen und versuchen uns zu entspannen.

29.01.2010 Wadi Halfa- Wawa

Das darf doch nicht war sein- ich wache mit einer dicken Lippe auf- Herpes. Eindeutig der gestrige Stress...

Es ist unerträglich heiß hier- das Thermometer klettert auf 40 Grad im Schatten. Wir machen uns auf den Weg Richtung Khartoum. 900 Kilometer liegen vor uns. Wir werden total überrascht. Eine nagelneue Straße erleichtert uns die Fahrt und die gesamte Strecke ist mit Funkmasten ausgestattet. Vorbei an kleinen, nubischen Dörfern, die wie ausgestorben am Nil liegen. Lehmhäuser, die mit Lehmmauern umgeben sind, teilweise mit Bäumen bepflanzte und gepflegte Grundstücke. Viele der Häuser sind verlassen und verfallen. Die Felder ordentlich abgegrenzt, bepflanzt mit Weizen, Erbsen, Gräsern. Wir sehen wenige Männer in weißen Kaftans auf den Feldern oder Eselskarren, Frauen in bunten, farbenprächtigen Kleidern und Tüchern, die Gras und Feuerholz auf dem Kopf balancieren. Kinder schauen uns nach, die meisten ohne einen Laut von sich zu geben, so, als wäre es völlig normal, dass Europäer durch ihr Dorf kommen. Die Dörfer scheinen mit Strom versorgt zu sein, Wasser wird durch den Nil kein Problem darstellen. Direkt am Nil finden wir einen wunderschönen Schlafplatz, der leider durch viele kleine Eintagfliegen. kaum zu genießen ist.

30.01.2010 Wawa- Dongola- Urbi

Die Strecke bis Dongola ist wunderschön, Wüste in abwechslungsreichen Strukturen und Farben, Berge in weiter Ferne. In Dongola treffen wir wieder auf die Fahrradfahrer von Tour dÀfrique und was uns noch viel mehr erstaunen lässt- auf Ampeln. Der Kioskbesitzer erklärt uns, dass die Straße vor 1, 5 Jahren fertig gestellt wurde und die Lebensumstände deutlich verbessert sind. Die Regierung hat nach seiner Aussage die Straße durch Öl- und Goldgewinne erschließen können, keine ausländischen Mittel wurden benötigt. Wir sehen auf der weiteren Fahrt hin und wieder Schilder, auf denen die Chinesen einen großen Anteil an Brücken und auch Straßen erbaut haben sollen. Die Regierung ist muslimisch geprägt, uns stellt sich gleich die Frage, ob der Südsudan auch mit derartig guten Straßen ausgestattet worden ist. Wir verlassen Dongola relativ schnell da die Hitze unerträglich ist. Entscheiden uns für die Fahrt entlang des Nils, obwohl unsere Karte wieder mal keine Straße eingezeichnet hat, wir von den anderen aber wissen, dass auch dort die Straßen gut ausgebaut sind. Wir fahren direkt am Nil, auf der staubigen Sandpiste durch die Felder und Dörfer. Ausgestorben. Wenige Menschen , die dann aber mit einem breiten Lachen, Daumen in die Höhe , Welcome.to Sudan. Die Dörfer sind sauber, der Müll wird außerhalb gesammelt und verbrannt. Viele Lehmhütten mit schön bemalten Eingangstüren aus Stahl. Esel, Schafe und Dromedare werden in mit Dornensträuchern abgetrennten Ausläufen gehalten, mit Palmenwedeln sind schattenspendende Dächer gebaut.

Gegen 16 Uhr suchen wir einen Schlafplatz, fahren weit weg vom Nil um den Fliegen zu entkommen. Doch es dauert nicht lang, bis sie uns finden. Völlig fertig vom Kampf gegen Hitze, Fliegen und mit unserem Wasserfilter der noch immer nicht funktioniert warten wir auf den Sonnenuntergang. Wir schaffen es, obwohl die komplette Technik endlich wieder funktioniert nicht mehr, unter diesen Umständen an diesem Abend noch einen Film zu schneiden.

31.01.2010 Urbi- Merowe

Wir treffen in Merowe wieder auf die englischen Motorradfahrer und suchen uns zusammen einen netten Schlafplatz in den Anbaugebieten am Nil. Es dauert nicht lange, bis ein Mann mit einem Silbertablett vor uns steht, uns willkommen heißt und einen süßen Tee ausgibt.

01.02.2010 Run out of Money, Water and Benzin

Wir besuchen kurz eine zerfallene Pyramide, verlassen den Ort aber, als ein Mann 40 Pfund von uns verlangt. Der Sudan hat bei weitem nicht viele “Touristenattraktionen”, die vorhandenen sind zum größten Teil zerfallen. Wir haben noch knappe 500 Kilomter bis Khartoum vor uns. Kaum noch Benzin, Wasser und noch weniger Geld. Wir kalkulieren, müssten es knapp mit unseren Reserven bis in die größte Stadt Sudans schaffen. Zur Not haben wir noch ein wenig Autogas im Tank. Trinkwasser können wir uns noch besorgen, sollte dies ausgehen bleibt uns das Wasser abzukochen. Dennoch haben wir ein schlechtes Gefühl im Bauch, ohne Geld diese lange Strecke zu fahren. Wollen in Altbarra, einer Industriestadt am Nil, versuchen unsere letzten 50 Dollar auf dem Schwarzmarkt zu wechseln. Finden die entsprechenden Leute, die uns nach einiger Zeit auch einen anständigen Kurs anbieten. Ein junger Mann steigt zu uns ins Auto, wir fahren zu seinem Familienhaus. Wieder einmal sind wir total überrascht- landen in einem christlichem, schön eingerichtetem Haus, bekommen unser Geld und einen wohltuenden Saft.

02.02.2010 Meroe- Pyramiden

Knappe 90 Kilometer Fahrt und wir erreichen die sudanesische Attraktion- 30 kleine, zerfallene und teilweise neu aufgebaute Pyramiden. Wir feilschen um den Eintrittspreis und bekommen eine unglaublich schöne Antwort. Die Menschen wollen, dass jeder die Sehenswürdigkeit besuchen kann, egal ob man Geld hat oder nicht. Statt 40 Pfund (ca. 12 Euro) dürfen wir für 10 Pfund eintreten. Uns kommen 2 bepackte Engländer entgegen, die unser Angebot der Gepäckabnahme dankbar annehmen. Sie haben 1 Jahr für eine NGO in Sambia gearbeitet und sind jetzt bis Kairo per Public Transport auf dem Heimweg. Auch die Motorradfahrer stoßen dazu, wir suchen zusammen ein nettes Plätzchen für die Nacht. Die Motorräder haben unglaubliche Probleme im weichen Sand, wir probieren zum ersten Mal unsere Sandbleche aus. Am Abend interessante Gespräche über das HIV- Präventionsprojekt in Sambia. Die NGO arbeitet dort mit lokalen Mitarbeitern zusammen. Schmunzelnd lauschen wir der Schilderung, wie einer der Mitarbeiter, von denen jeder im kleinen Dorf weiß, dass er verheiratet ist und 8 Freundinnen besitzt, in der Community HIV- Präventionsarbeit betreibt. “ Treue” und “Kondome” sind die Schlagworte, die er von der englischen NGO übernimmt. Ein Wunder, dass diese Arbeit nicht im geringsten fruchtet??? Die Menschen machen diese Arbeit, weil sie dafür bezahlt werden, nicht weil sie davon überzeugt sind. Ähnlich, wie eine deutsche Krankenschwester die auf einer Lungenkrebsstation arbeitet und nach verabreichter Chemotherapie für den Patienten in den Raucherbereich entschwindet...

03.02.2010 Khartoum

Gegen 16 Uhr erreichen wir Khartoum. Margret lässt keine 10 Minuten auf sich warten. Ich fühle mich, als wäre ich angekommen. Angekommen in einer vertrauten Umgebung. Margret hat sich auf einen Zeitungsartikel aus dem Nordheide Wochenblatt bei uns gemeldet. Sie lebt seit 20 Jahren im Sudan, hat für zahlreiche NGOs als Projektkoordinatorin gearbeitet und mittlerweile ein großes Fragezeichen hinter diverse Methoden gesetzt. Sie war per Zufall in ihrer Heimatstadt Seppensen und hat sich als Kontaktperson angeboten. Unsere Lady passt durch die Hofeinfahrt von Margret und Amin und so bleiben uns die Nächte auf dem Campingplatz erspart. Der Sudan. Ein Kulturschock. Ich hatte Bilder im Kopf, aus Fernsehen und Zeitungsberichten. Von Kriegen, Hunger, Armut, Rebellen. Doch diese Bilder finde ich nicht wieder in den lachenden, offenen und freundlichen Gesichtern der Jugendlichen, die in einer netten Parkanlage oder Restaurants einen Kaffee trinken, Eis oder italienische Pizza verspeisen. Die sich ungezwungen in modernen Kleidern auf den sauberen Straßen bewegen. Was machen die Bilder, die sie über ihr eigenes Land bei CNN sehen, mit ihnen? Wenn nur negative Schlagzeilen nach außen dringen? Wir haben bislang den Nordsudan und Khartoum gesehen, ein Teil des Landes in den von der Regierung aus investiert wird. Der Süden und Westen wird anders aussehen, hier findet man laut Margret weder Krankenhäuser noch asphaltierte Straßen. Hier werden wir die Bild mit Sicherheit finden, die in unseren Köpfen über den Sudan gespeichert sind. .Mir zeigt es ganz deutlich, dass man nie über ein so flächengroßes Land in einem sprechen sollte, geschweige denn über “das ist Afrika”...

04.02.2010 Naya

Den Vormittag widmen wir dem Filmmaterial aus der Türkei. Lang, lang ist es her. Am Nachmittag fahren wir mit Margret zu einem Meeting von “Network for Adolescent and Youth of Africa”. Naya wurde von den Amerikanern ins Leben gerufen und bietet in mehreren afrikanischen Ländern ein Kommunikationsnetzwerk von NGOs, die im Gesundheits- und Jugendarbeitsbereich tätig sind. Im Sudan gehören diesem Netzwerk 12 lokale NGOs an, die insgesamt über 1000 Freiwilligenarbeiter verfügen. Uns fehlt die Sprache. Haben wir im Libanon und auch in Ägypten gehört, dass Freiwilligenarbeit nur von denen geleistet werden kann, die sozial gut abgesichert sind, scheint dies hier völlig fehl am Platz. Volunteerwork ist in der Gesellschaft unglaublich gut angesehen und wird auch in den Dörfern, in denen die Menschen unter 1 US- Dollar pro Tag leben, weiter getragen. Die Motivation wird uns dargelegt- die Jugendlichen wollen sehen, was in ihrem Land passiert, wie es im Darfurgebiet aussieht, NGOs ermöglichen ihnen derartige Reisen. Insgesamt erscheint der Sudan als sehr teuer. Benzin kostet pro Liter 0,50 Euro, obwohl der Sudan mehr Öl als Saudi Arabien besitzt.Für einen Loter Milch zahlen wir 2 Euro, für 2 kg Kartoffeln mehr als für Biokartoffeln daheim. Khartoum findet sich in den Statistiken unter den 16 teuersten Hauptstädten der Welkt wieder. Im Sudan wird derzeit außer Gold und Öl nichts von den vielfältigen Rohstoffvorkommen angetastet- Rohstoffe für die Zukunft. Vor allem das Uran in der Darfurregion... Margret versucht uns die herrschenden Konflikte im Süden und Westen des Landes näher zu bringen, die bei weitem nicht wie in der Öffentlichkeit mit “Stammeskonflikten” abgetan werden können.

05.02.2010 Freitag

Am Nachmittag nimmt Margret sich die Zeit uns die Stadt zu zeigen. Diese ist unterteilt in first living area, second and third living area. Die Aufteilung erfolgt nach der Grundstücksgröße und somit natürlich auch nach dem Einkommen der Bewohner. Die Stadt bietet, abgesehen von großen Supermärkten, wenig touristische Attraktionen, auf dem teuren und nicht empfehlenswerten Campingplatz “ Blue Nile Sailing Club” bekommen wir die Bestätigung- kaum ein Reisender bleibt länger als 5 Tage in Khartoum. Wir treffen noch auf Bodo, mit dem wir die Fähre geteilt haben und auf die englischen Motorradfahrer, alle anderen sind bereits weiter nach Äthiopien gefahren. Große Überraschung- das lila Auto der Pistenkuh steht auf dem staubigen Platz. Burkhard und seine Frau reisen seit mehreren Jahren durch die Welt und bieten auf ihrer Internetseite eine gute Informationsplattform zu allen bislang bereisten Ländern. Jonathan ist durch diese Webseite angesteckt worden, hat die Reise von den beiden über mehrere Jahre verfolgt, gesehen, was möglich ist. Sie sind jetzt auf der Rückreise von Südafrika nach Deutschland und völlig erschöpft vom letzten Land- Äthiopien. Haben schon so viele Länder bereist und Äthiopien soll eines der schlimmsten gewesen sein. Kinder, die mit Steinen schmeißen, Eltern, die dieses ohne Reaktion tolerieren. Überall Menschen, die ihnen nur mit den Worten “give me money” begegnet sind. Schon oft haben wir gehört, dieses Land sei durch Entwicklungshilfe total versaut worden. Wir sind gespannt....

06.02.2010 Naya

Wir verbringen den Tag bei Naya. Hier treffen sich heute zwei der am meist gefährdeten Gruppen, wenn es um die HIV- Infektion geht- Homosexuelle und Prostituierte. Beides sind Gruppen, die im Sudan unter der islamischen Regierung nicht einmal geduldet werden und daher setzt dieses Treffen unglaubliche Sensibilität voraus. Die Jugendlichen von Naya haben es geschafft, mit diesen Gruppen in Kontakt zu treten und trainieren nun die Männer und Frauen darauf, in ihren jeweiligen Gruppen die HIV- Ansteckungsrisiken und Schutzmaßnahmen zu verbreiten. Es scheint zu funktionieren, das Geheimrezept ist unserer Meinung nach die Eigeninitiative der lokalen Gruppen, die ein Problem erkannt haben und an der Lösung arbeiten. Mit Freiwilligen, teilweise mit ausländischen Geldern, im Schneeballsystem. Klar fragen wir uns, wie viel am Ende bei dem letzten Nachrichtenkonsumenten ankommt. Aber immerhin sprechen alle Vermittler die gleiche Sprache und somit kommt am Ende vielleicht doch mehr an als wenn die deutsche Sprache in die arabische übersetzt werden muss.

07.02.2010

Schrauberein am Auto und Filmproduktion. Wir haben unglaubliches Glück- über den Sudan zieht eine Kältefront. Das Thermometer zeigt nur noch 25 Grad.

08.02.2010 Naya

Am Abend dürfen wir dem sudanesischen Verständnis von Aufklärungsarbeit beiwohnen. Wir kommen per Tuk Tuk zum größten Jugendzentrum in Khartoum und sind wirklich beeindruckt. 500 weiße Plastikstühle warten auf Besucher, die VIP- Plätze werden erkenntlich von den anderen mit weißen Tüchern abgegrenzt. Die Gruppe der homosexuellen Männer versucht ein großes Banner an der Bühne zu befestigen, die Gruppe der Prostituierten richtet Bonbons, Feigen und Orangen auf einem Silbertablett her. Eine kleine Ausstellung mit Plakaten über HIV/Aids und Geschlechtskrankheiten soll verdeutlichen, um was es heute Abend geht. Aber vorerst Entertainment. Zwei Komiker die erst mit Witzen über das tägliche Leben einsteigen, sich irgendwann steigern und zum Finale einen Sketch, mit dramatischer Musik unterlegt, über den bösen HI- Virus bieten. Zum Ende der Show sind die weißen Plastikstühle längst nicht voll besetzt, lediglich die VIP- Gäste konnten ihre Reihe füllen. Nachdem der Koordinator des Projektes eine eindringliche, ernst zu nehmende Rede über die Gefahr der Ansteckung gehalten hat, erhalten die VIPs nacheinander eine Urkunde für irgend geleistete Arbeit .Nun hält auch diese nichts mehr und das Angebot zum kostenlosen HIV- Test geht fast unter. Wir wundern uns über die geringe Zahl der Besucher, bekommen als Antwort, dass die Bekanntmachung erst heute gemacht werden konnte und die Veranstaltung in die Abendgebeteszeit gefallen ist. Ich mag es, ein ernstes Thema mit Komik und Spaß verbinden zu können, der Ansatz ist gut, scheint aber auch irgendwie nicht immer zu wirken. Wo doch die Eigenerfahrung zeigt, dass sobald Musik gespielt und Bonbons verteilt werden, sofort eine große Menschenmenge mobilisiert ist...

12.02.2010 Sudia und Annikö

Ahmed Al Mahdi, Mitgründer und Direktor von Sudia nimmt sich nach dem gestrigen Abend auch den freien Freitag Zeit, um mit uns über Entwicklungshilfe im Sudan zu diskutieren. Er hat viele Jahre in internationalen NGOs in seinem Land gearbeitet, aus dieser Motivation heraus eine eigene NGO gegründet. Er hat eine sehr komplexe Ansicht gegenüber “Entwicklungshilfe”, eine seiner Antworten bringt uns wirklich zum staunen. Es hätte sich nach knappen 30 Jahren ausländischer Hilfe für den Sudan nichts in der Entwicklung getan. Gut, das Land bekommt nach und nach die Straßen ausgebaut, Khartoum besitzt nun 5 moderne Hochhäuser und Supermärkte. Aber diese Art der Entwicklung hilft dem Land und der Bevölkerung nicht viel. Er gibt Beispiele aus der Darfurregion. Die Anzahl der dort tätigen NGOs ist kaum zu überblicken, die dadurch entstandenen Arbeitsplätze für Sudanesen (als Fahrer, Koch, Putzkraft...) auf den ersten Blick natürlich hilfreich. Alle wollen in der Krisensituation helfen, verlassen ihre Projekte im Südsudan, erhoffen sich durch die Arbeit im Darfur mehr Spendengelder. Was passiert, wenn die Kriegssituation dort vorbei ist? Die NGOs verlassen den Ort wieder, um in einen anderen Krieg zu ziehen, die Köche und Putzfrauen stehen ohne Arbeit da, die angemieteten Häuser in denen die externen Kräfte zu hohen Mieten wohnten, stehen leer. Die auf dem Markt angestiegenen Preise werden sich nicht so schnell wieder nach unten bewegen wie das Feld geräumt ist. Er versteht diese Handlungsweise nur zu gut, die Geldgeber und Spender wollen sehen, wie mit ihren Millionen ein Kind von 12 kg Körpergewicht innerhalb kürzester Zeit auf 25 kg gefüttert wird, egal ob durch die Nahrungshilfe aus dem Ausland der einheimische Markt völlig zusammen bricht. Wollen sehen, wie ein durstiges Kind einen Becher mit Wasser aus dem gebauten Brunnen zieht, egal ob durch den gebauten Brunnen der Arbeitsmarkt für 16 Frauen kaputt gemacht wird, die vor der Brunnenzeit täglich ihr Brot mit Wasserholen aus dem 7 Kilometer entfernten Fluss verdient haben. Er bestätigt uns, dass eine Veränderung in der bislang geleisteten Hilfe nötig ist, um das Land ernsthaft zu entwickeln. Er hat keine Antwort wie, meint aber, dass jede Entwicklung eine lange Zeit und Menschen mit langen Atem braucht. und den langen Atem, den hat kaum einer...

Dies kann uns auch Annikö bestätigen, die für 2 Jahre für eine große internationale NGO in El Obeid ein Bildungsprogramm aufgebaut hat. In 2 Jahren hat die Dorfbevölkerung ein Netzwerk untereinander gegründet, um sich gegenseitig zu unterstützen, sie haben es geschafft eine Schule und eine Krankenstation zu bauen. Nach 2 Jahren wurde eine neue Projektkoordinatorin eingesetzt, die die Arbeit ihrer Vorgängerin erst einmal überarbeitet hat. Somit sind viele aufgebaute Strukturen zusammen gebrochen, Annikö hat ihren Job gekündigt. Sie lebt jetzt seit 4 Jahren im Sudan, hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Bildband mit Sagen aus dem Sudan zu entwerfen. Sie will damit den Menschen in den Dörfern die Wichtigkeit ihres Daseins zum Ausdruck bringen, ihnen eine Stimme geben, die Stimmen in die Welt tragen. Die Schönheit des Landes in Form von Fotographien erkenntlich machen, nicht nur den Kriegsbilder eine Chance geben. Eine schöne Aufgabe, zumal sie es geschafft hat, sudanesische Sponsoren zu finden, die ihr helfen diese Arbeit zu finanzieren.

13.02.2010 GAD- Syndrom (Get another Donkey- Syndrom)

Wir treffen uns am Morgen mit Antony, der vor 2 Jahren eine NGO gegründet hat. Er selbst stammt aus dem Südsudan, hat 10 Jahre in Europa gelebt. Nachdem er zurück in den Sudan gekehrt ist, fand er viele seiner Verwandten als Kriegsflüchtlinge in Khartoum wieder, lebend unter minimalen Voraussetzungen. An diesen hat sich bis heute (14 Jahre später) nicht viel geändert, für eine Bevölkerungsgruppe von 5800 Menschen gibt es eine Schule, in der gerade mal 138 Kinder Platz finden. Es gibt keine Krankenversorgung, kein Wasser und erst seit kurzer Zeit durch einen aus Deutschland gesponserten Generator Strom für wenige. Die Regierung wird keine Hilfe leisten, die Menschen sind Flüchtlinge aus dem eigenen Land, sie haben ihre Zelte mittlerweile zu Lehmhäusern umgestaltet, die Hoffnung auf eine eigene Entwicklung aufgegeben. Dies ist für uns ziemlich hart zu erfahren, denn wie soll man mit einer großen Menschengruppe etwas zusammen aufbauen, wenn diese keine Motivation mehr aufbringen kann, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten? Wir werden in eine Lehmhütte gesetzt und gefragt, wie wir gedenken der Community zu helfen. Wir müssen klar stellen, dass dies nicht zu unserer direkten Aufgabe zählt, Wasser, Gesundheit oder Bildung ins Land zu tragen, wir andere Ziele haben. Enttäuschung. Doch diese können wir nicht nehmen. Wir sind hier, um uns das Projekt der Mikrofinanzierung anzuschauen. Mit Antony machen wir einen Rundgang durch das Gebiet, besuchen die 5 Familien, die von seiner NGO einen Mikrokredit bekommen haben. Zwei Familien haben einen kleinen Shop eröffnet, mit Seife, Zucker, Keksen, drei Familien haben sich einen Esel und Wasserkanister gekauft, um damit von der weit entfernten Wasserstelle Wasser in das Dorf zu bringen und hier zu verkaufen. Auf dem ersten Blick sieht das Projekt wirkungsvoll aus, alle Familien sind in der Lage ihren Kredit nach und nach zurück zu zahlen, können ihre Kinder in die Schule schicken. Doch unsere Frage, was denn aus diesem Geschäft wird, wenn eine NGO oder die Regierung die gewünschte Wasserversorgung in Form eines Brunnens stellt zeigt, wie unreflektiert die Geschichte ist. Denn dann währen diese Familien nicht mehr von Nöten, das Projekt also überhaupt nicht nachhaltig gestaltet. Wir machen uns viele Gedanken, sehen, dass die Form der Arbeitsbeschaffung der fünf Familien Kreativität braucht, zukunftsorientiertes Denken und nicht die Denkweise, wie sie hier herrscht- weil andere damit zu Geld kommen, wird es bei mir auch klappen. So kann ein Land, eine Bevölkerung, eine Familie doch nicht nach vorne kommen! Wir fragen nach der weiteren Projektzukunft und bekommen keine Antwort auf unsere Nachfrage- wenn weitere 20 Familien im Mikrofinanzierungsprojekt sind, wird es dann weitere 20 Esel in diesem Dorf geben???

Am Abend eine SMS von meinen Eltern. Wir sitzen im Garten von Margret, beschäftigen uns mit dem Film der Tierinsel, haben gut gegessen und trinken kalte Cola. “ Wie ist das Geburtsdatum deines Bruders?” lautet die SMS. Sie haben sich große Sorgen gemacht, konnten uns einige Tage nicht erreichen und dann haben sie vor einer Stunde eine Männerstimme mit Fernsehgeräuschen im Hintergrund am Telefon gehabt. Diese Gefühle von Angst und Sorge müssen irgendwie dazu gehören. Und für uns ist es gut zu wissen, dass es zu Hause Menschen gibt, die unruhig werden, die sofort handeln und nicht Tage verstreichen lassen. Und die wissen, wie sie handeln können.

14.02.2010 Abfahrt mit Rückfall

Wir wollen Khartoum verlassen, Richtung El Obeid um dort mit Annikö das Projekt der deutschen Entwicklungshilfeorganisation zu besuchen. Wollen noch einmal den Vergaser richtig einstellen lassen, da wir noch immer einen erhöhten Benzinverbrauch haben. Die “Werkstatt” baut die Zündkerzen aus und wir bekommen einen großen Schreck- an den Windungen von vier Kerzen ist Öl, sie sind rußig und unterschiedlich abgenutzt. Die Diagnose der sudanesischen Schrauber- angeschlagene Kolbenringe... Ich sehe uns die nächsten zwei Wochen in Khartoum, das Herz der Lady raus genommen, wartend. Ich bin kaum noch ansprechbar... Wir bauen neue Zündkerzen ein, nach einer Stunde Fehlzündungen da die Zündkabel in einer falschen Reihenfolge aufgesetzt worden sind, fahren wir zurück zu Margret. Schreiben ins treue Volvoforum unser Problem und bekommen schnelle Antworten- dont worry, das tut gut zu hören... Wir haben keinen Ölverlust und damit ist die Diagnose als Fehldiagnose auszuradieren. Stellen die Zündung noch mal nach und gönnen uns einen tollen Schokoladenkuchen mit Vanilleeis... Leider haben wir von Annikö am Vormittag eine Absage bekommen- sie hat Angst, ihre Bucharbeit könnte durch unsere Arbeit gestört werden und vielleicht auch ein wenig Angst vor unseren Fragen, die mit Sicherheit Kritik an ihrem ehemaligen Arbeitgeber und auch an ihrer Arbeit erfordert hätten... Unser Anliegen war zu schauen, was innerhalb von zwei Jahren in einem Dorf mit Hilfe von externen Kräften aufgebaut wurde und was jetzt noch davon übrig ist.

15.02.2010 Abfahrt ohne Rückfall (Khartoum- Sennar)

Heute klappt die Abfahrt aus Khartoum und die Lady schnurrt bis nach Sennar. Hier habe wir Kontakt zu einer NGO die sich mit der im April angesetzten Wahl beschäftigt. Die erste Wahl nach über 20 Jahren. Wir wollen sehen, wie eine lokale NGO ihre Bevölkerung vorbereitet, eine Bevölkerung die zum größten Teil weder lesen noch schreiben kann, die auch in kleinen Kreisen mit keinerlei demokratischer Stimme aufgewachsen ist, die Machtstimme immer dem Dorfältesten gehört. Wenn wir durch die Dörfer fahren sehen wir viele Wahlplakate, die von Frieden und Freiheit sprechen, die Wahlkandidaten in siegreichen Posen. In Sennar werden wir herzlich empfangen, mit kalter Cola und Erdnüssen. Wir werden sofort von einem prächtig aussehenden älteren Mann in Beschlag genommen, ein anderer begrüßt uns mit den Worten “legal, illegal, scheißegal”. Er lebt seit den 60 er Jahren in Berlin, übersetzt jetzt unser Vorhaben von Deutsch ins Arabisch. Wir erklären genau, was wir wollen, alles kein Problem, wir sind willkommen. Ashraf fängt uns schnell ab, er kann gutes Englisch, bietet sich als Übersetzter an und möchte uns zu einen Schlafplatz zeigen. Er hat es ziemlich eilig uns hier weg zu bringen, wir sind ein wenig erstaunt als er uns einfach vor einem Hotel neben einer Vielzahl von UN- Fahrzeugen ab parken lässt, wir doch so viele Angebote von den dortigen Menschen hatten. Am nächsten Tag sollen wir verstehen, warum.... Die UN ist seit einigen Monaten zur Wahlbeobachtung vor Ort.

16.02.2010 Sennar und der Reinfall

Ashraf und der Mann von gestern holen uns ab, wir sollen uns bei dem Bürgermeister der Stadt und bei der Polizei vorstellen, eine Genehmigung für unser Vorhaben einholen. Bei Beiden bekommen wir Bonbons, kalten Saft und eine Abfuhr. Diese Gruppe die uns gestern so nett empfangen hat ist eine politische Gruppe und betreibt Wahlkampf, wollte uns dafür augenscheinlich nutzen. Wir bekommen keine Erlaubnisse, politische Themen aus dem Sudan zu filmen, wen wundert es, zumal wir dies eigentlich nicht vor hatten. Die Vorbereitungen seien bereits abgeschlossen, alle die wählen wollen wurden registriert. Niemand hat Zahlen, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird, da die letzte Volkszählung überhaupt nicht aussagekräftig ist. Den prächtig aussehenden älteren Mann von gestern sehen wir nicht wieder. Mit Ashraf sitzen wir für ein paar Stunden in einem Straßencafe, trinken Tee und lassen ihn erzählen. Alleine für dieses Gespräch hat sich die Strecke nach Sennar gelohnt. Ashraf hat 12 Jahre lang mit seiner Familie in Saudi Arabien gelebt, als Englischlehrer gearbeitet. Er ist seit 3 Monaten wieder in seinem Heimatland.

Er erzählt von politischen Machtspielen, kennt jetzt schon den Wahlausgang. Die islamistische Partei wird die Mehrheit bekommen, egal ob die eigentlichen Wahlergebnisse anders aussehen würden. Die Universitäten wählen bereits, heute in Sennar. Die Polizei ist in Bereitschaft, nur weil man befürchtet, dass die islamistische Partei nicht gewinnen könnte. Dann würde es zu massiven Ausschreitungen kommen, die Polizei Tränengas einsetzten. Doch am nächsten Tag sind die Wahlergebnisse so, dass die Straßen ruhig bleiben, so, wie Ashraf befürchtet hat. Wir fragen uns- wie soll ein ganzen, konfliktreiches Land eine friedliche Wahl vollziehen, wenn selbst bei einer Wahl der Studentenvertretung alle Alarmglocken bereits auf rot stehen??? Über die UN- Arbeit lächelt er, meint diese würden keinen Wahlbetrug verhindern können.

Ashraf erzählt ohne von uns gefragt zu werden von der Frauenbeschneidung. Was für eine Qual der erste Geschlechtsverkehr für Mann und Frau ist, die Männer die Beschneidung nicht mehr wollen. Doch die Frauen untereinander sehen ihre Gegenüber nur als gleich an, wenn diese beschnitten ist. Lokale NGOs versuchen den Frauen zu vermitteln, dass nichts dergleichen im Koran steht, so erhofft er sich, können die Frauen ihr Verhalten vielleicht ändern. Die Männerbeschneidung hingegen ist auch laut des Korans von Nöten, ein Mann muss zum Gebet rein sein, die Angst, dass sich ein Tropfen Urin unter der Vorhaut hält berechtigt die Beschneidung. Nachdem auch wir viel erzählt haben stellt er uns folgende Frage: “Warum bleibt ihr nicht einfach in eurem Land, dort, wo ihr mit dem Wetter umgehen könnt, wo ihr gute Toiletten findet, gute Straßen, wo eure Bedürfnisse gedeckt werden?” Jonathan und ich schauen uns an, haben beide eine Antwort auf den Lippen die dieser Frage aber gefühlt nicht gerecht werden könnte. Beide bleiben wir stumm...

Den Nachmittag verbringen wir außerhalb der Stadt, es ist unerträglich heiß, unser Kreislauf total im Keller. Wir trinken jeder 5 Liter Wasser, verbringen die Zeit im Schatten der Bäume mit einem Buch. Am Abend holt Ashraf uns wieder ab. Zusammen fahren wir zum “Geburtstagsfest des Propheten Mohammed” welches in ganz Sudan groß gefeiert wird. 11 Tage lang finden jeden Abend Tänze von unterschiedlichen religiösen Gruppen statt. Ashraf ist ein wenig beschämt, als wir schnell eine Kinderschar hinter uns haben, an die wir uns allerdings schon längst gewöhnt haben...

17.02.2010 Sennar- Damazin

Wir verlassen Sennar da unsere eigentliche Kontaktperson ein Polizist ist, der alle Hände voll mit den Studentenwahlen zu tun hat. Wir erreichen Damazin in der Dunkelheit, suchen uns einen Schlafplatz unter den Bäumen etwas außerhalb der Stadt.

Heute ist bereits der 25.02.2010. Ich habe all die letzten Tage keine Zeit gefunden, unsere zahlreichen Erlebnisse aufzuschreiben. Vielleicht, weil ich nicht wusste wie. Es sind einfach zu viele Dinge passiert, die meinen Kopf fast zum explodieren gebracht haben. Die Hitze am Tag und in der Nacht machen mir zu schaffen, wir schlafen schlecht. Immer in einer Alarmbereitschaftshaltung, bei jedem Knacken sind wir wach. Die Straßen werden ab hier unglaublich schlecht, mit 25 Stundenkilometer quälen wir uns über die Piste. Die Bilder die uns jeden Kilometer begegnen sind wunderschön und zugleich so hoffnungslos, Mut raubend. Wir diskutieren die Bilder hin und her, unser Leben, unsere Einstellungen und Ansichten, kommen kaum weg vom Thema. Ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt, brauche eine Pause...

18.02.2010- 21.02.2010 Damazin- Kurmuc

Wie gesagt, die Bilder und Landschaften sind wunderschön und abwechslungsreich. An der Straße entlang säumen sich Schilder der Hilfsprojekte. Wir wollen uns einige davon anschauen und müssen erschreckend feststellen, dass die meisten Türen mit einem Schloss verriegelt sind. In Projekte, die laut Schilder im Jahr 2009 angesiedelt worden sind, finden wir keine Menschenseele, die gebauten Häuser sehen aus als währen sie schon vor 10 Jahren implementiert. Wir finden noch keine Antwort, warum die Projekte nicht laufen, warum die Türen verschlossen sind. Wir sprechen die Sprache der Menschen nicht um ihre bestimmt interessanten Meinungen zu hören.

Wir brauchen drei Nächte in der Wildniss, um Kurmuc zu erreichen, fahren nur kurze Strecken, die Straße ist schlecht und der Motor hat bei 45 Grad im Schatten zu kämpfen. An einem Morgen werden wir von fünf bewaffneten Soldaten aus dem Bett geholt. Mit Gewehren in der Hand, ein Moment der mir wieder bewusst macht, wo wir sind. Wir sind allein, sie könnten alles von uns fordern und wir müssten es ihnen geben. Diese Menschen sind trotz Friedensabkommen im Krieg, die Hälfte aller Männer laufen in Soldatenuniform durch die Straßen, viele noch bewaffnet. Nachdem sich die Soldaten zum Auto getraut haben, kommt die Dorfbevölkerung. Harmlos steigern sie sich, der Erste kommt nur zum gucken, der nächste hat eine Platzwunde am Kopf die ich ihm desinfiziere und mit einer Kompresse versorge. Dies spricht sich schnell rum, die nächsten Männer zeigen uns eine Medikamententüte und wollen mehr von diesem Inhalt...

Kinder strecken ihre Hände aus, wollen Nahrung und Wasser von uns. Kinder, die nicht in Schuluniform stecken, gehen anscheinend auch nicht in die Schule. Davon gibt es hier einige. Aber ehrlich, wenn man hier durch das Land fährt fragt man sich, warum sollten diese Kinder auch in die Schule gehen? Ist es nicht viel wichtiger, dass die Familie Wasser und Feuerholz zum kochen hat? Dass die Kühe gut genährt sind, damit die Familie wenigstens ein kleines Einkommen hat? Es klingt hart, ergibt für uns aber hier eine eindeutige Antwort. Mit Bildung wird nicht jedes Problem gedeckt, vorher müssen die Grundbedürfnisse befriedigt werden... Auch wen man mit Bildung den Menschen verhelfen könnte ihre Grundbedürfnisse abzudecken, aber dies setzt meiner Meinung nach eine andere Bildung voraus, als die, die in den Schule gelehrt wird...

In Kurmuc angekommen werden wir von verschiedenen Menschen abgefangen, die uns klar machen- hier kommt ihr auf keinen Fall über die Grenze nach Äthiopien. Wir diskutieren fünf Stunden, haben doch vorher von Margret und Amin die Versicherung bekommen, dass hier viele Menschen über die Grenze gehen, dass dies kein Problem sein wird. Auch das Auswärtige Amt in Khartoum haben wir befragt, diese haben uns keine qualifizierte Auskunft geben können. Wir fahren direkt vor die Grenze und können durchaus verstehen, warum man uns hier nicht rüber lassen will. Es gibt weder Stempel noch Grenzbeamte, lediglich Militär welches müde die vollbeladenen Eselskarren beäugen. Wir geben auf, betanken die Lady, packen erneute Wasserreserven ein und machen uns auf den Weg zurück nach Damasin. To enter Sudan- it´s difficult.
To exit Sudan- it´s difficult.
But to be in Sudan- you will enjoy...


Auf dem Rückweg sehen wir direkt gegenüber von dem mit Natodraht gesichertem UN- Gelände (auf dem wir auch einige Panzer entdecken) ein abgesperrtes Landminenfeld. Mir läuft es kalt den Rücken runter habe ich mir selbst geschworen, nie in derartige Gebiete zu fahren. Außerdem fahren wir an ausgebrannten Panzern und Kriegsfahrzeugen vorbei, die wie Mahnmale einfach so im Gelände stehen geblieben sind...

22.02.2010 Damasin

Wir fahren die Strecke in 7 Stunden und kommen völlig erledigt in Damasin an. Gestern war die einstimmige Meinung, wir müssten zurück nach Damasin, uns dort bei Mr. Andro Stempel und Erlaubniss holen und dann können wir die Grenze in Kurmuc passieren. Wir telefonieren mehrere Male mit Mr. Andro, der uns zu einem bestimmten Büro lots. Doch antreffen tun wir ihn nirgendwo. Statt dessen nimmt sich Mr. Saudik von der National Security unserer an und wir bekommen zu hören- alles kein Problem. Wir durchlaufen mehrere Büros bis wir von der Polizei hören, wir bekommen keine Erlaubniss diese Grenze zu nutzen. Die SPLA ist in Kurmuc an der Macht, hier haben sie keine Leute, können uns nicht helfen. Also gut, wir dürfen aber die Grenze in Gesime nehmen, dafür werden sämtliche Leute informiert und wir werden keine Probleme haben.

23.02.2010 Damasin- Gesime

Am Morgen steht Mr Saudik vor unserer Tür, erklärt uns noch mal, dass es keine Probleme geben wird. er kann uns keine schriftliche Bestätigung geben, wir haben also wieder nichts in der Hand, nur eine Telefonnummer. Ein großes Problem für uns sind hier die Strukturen zu erkennen. Denn es sind nicht wie bei uns Positionen die man für bestimmte Stempel aufsuchen muss, sondern Namen. Aber es funktioniert. Wir fahren gen Gesime, 8 Stunden noch schlechtere Straße als nach Kurmuc, dafür werden wir wieder mit einer atemberaubenden Landschaft belohnt. Ein erneuter Reifenwechsel, bei dem uns der Spanngurt reißt, an dem Jonathan von oben den Reifen aufs Dach zieht. Der wuchtige Reifen springt in die Menge der uns beobachtenden Menschen. Puh, das hätte fast ins Auge gehen können... Wir fahren die Strecke durch da unser Visum für den Sudan lediglich noch drei Tage gültig ist. Sollten wir also auch hier nicht über die Grenze kommen, müssen wir in 2 Tagen die Strecke bis Gedaref hochfahren. Diese Grenze wird von allen Touristen genutzt. Allen. Denn in Gesime angekommen erf ahren wir, dass wir angeblich die ersten Touristen sind, die diesen Grenzübergang nach Äthiopien nutzen. Wir verbringen eine entspannte Nacht im Dorf, werden früh am Morgen von Hunden und Hähnen geweckt .